Nebenwirkungen
Second Avenue und forderte, wie gewöhnlich, einige tiefschürfende Erwiderungen heraus.)
Auf Pasta als Ausdruck des italienisch-neorealistischen Stärkemehls versteht sich Mario Spinelli, der Küchenchef im "Fabrizio’s", ganz ausgezeichnet. Spinelli knetet seine Pasta langsam. Er gestattet, daß sich Spannung bei den Gästen entwickelt, während sie dabeisitzen und ihnen die Spucke im Munde zusammenläuft. Seine Fettuccine, die zwar auf eine nachgerade mutwillige Weise bissig und naseweis sind, verdanken vieles Barzino, dessen Verwendung von Fettuccine als ein Mittel sozialer Veränderung uns allen bekannt ist. Der Unterschied ist, daß bei Barzino der Gast dazu verführt wird, weiße Fettuccine zu erwarten, und sie auch bekommt. Hier im "Fabrizio’s" bekommt er grüne. Warum? Das scheint alles so grundlos. Als Gäste sind wir auf die Änderung nicht vorbereitet. Folglich macht die grüne Nudel uns nicht froh. Sie ist bestürzend in einer Weise, die der Küchenchef nicht beabsichtigt hat. Die Linguine andererseits sind ganz köstlich und absolut undidaktisch. Gewiß, ihnen haftet etwas penetrant Marxistisches an, das wird aber durch die Soße überdeckt. Spinelli ist jahrelang ein hingebungsvoller italienischer Kommunist gewesen und hat sich außerordentlich erfolgreich für seinen Marxismus stark gemacht, indem er ihn auf raffinierte Weise in Tortellini füllte.
Ich begann das Essen mit einem Antipasto, das zunächst absichtslos wirkte, aber als ich die Anchovis näher in meine Überlegungen einbezog, wurde sein Kernanliegen klarer. Versuchte Spinelli damit zu sagen, daß das ganze Leben hier in diesem Antipasto abgebildet sei, wobei die schwarzen Oliven die unerquicklichen Mahnerinnen unserer Sterblichkeit sind? Wenn ja, wo war dann die Sellerie? War sie wegzulassen Vorsatz? Im "Jacobelli’s" besteht das Antipasto ausschließlich aus Sellerie. Aber Jacobelli ist ein Extremist. Er möchte unsere Aufmerksamkeit auf die Absurdität des Lebens lenken. Wer kann seine Scampi vergessen: vier knoblauchdurchtränkte Garnelen, die so angerichtet waren, daß sie mehr über unser Debakel in Vietnam aussagten als unzählige Bücher zu diesem Thema? Welch empörendes Vergehen damals! Und wie zahm wirkt das jetzt neben Gino Finocchis (von Ginos Restaurant "Vesuvio") "Zarter Piccata", einer erschreckenden, ein Meter achtzig dicken Scheibe Kalbfleisch, an der ein Stück schwarzer Chiffon hängt. (Finocchi arbeitet stets besser mit Kalbfleisch als mit Fisch oder Huhn, und es war ein schreckliches Versehen von Time, als in der Titelstory über Robert Rauschenberg vergessen wurde, auf ihn hinzuweisen.) Spinelli ist im Gegensatz zu diesen Avantgarde-Köchen selten die große Erfüllung. Er zögert, wie zum Beispiel bei seinen Spumoni, und wenn sie kommen, sind sie natürlich zergangen. Spinellis Stil haftete immer schon eine gewisse Vorläufigkeit an - besonders der Art, wie er Spaghetti Vongole behandelt. (Vor seiner Psychoanalyse stellten Muscheln für Spinelli ein großes Schrecknis dar. Er ertrug es nicht, sie zu öffnen, und wenn er gezwungen war hineinzusehen, drehte er durch. In seinen frühen Versuchen mit Vongole sehen wir ihn sich ausschließlich mit "Muschelsurrogaten" befassen. Er benutzte Erdnüsse, Oliven und schließlich, vor seinem Zusammenbruch, kleine Radiergummis.)
Ein reizender Zug an "Fabrizio’s" ist Spinellis Hühnchen ohne Knochen alla Parmigiana. Die Bezeichnung ist ironisch, denn er füllt das Hühnchen zusätzlich mit Knochen, als wolle er damit sagen, das Leben dürfe man sich nicht zu schnell oder ohne Vorsicht einverleiben. Das ständige Entfernen der Knochen aus dem Mund und ihr Ablegen auf dem Teller verleiht dem Gericht einen gespenstischen Klang. Man wird sogleich an Webern erinnert, der aus Spinellis Kochkunst ständig hervorzuschauen scheint. In seiner Arbeit über Strawinsky macht Robert Craft eine interessante Feststellung über den Einfluß Schönbergs auf Spinellis Salate und Spinellis Einfluß auf Strawinskys Concerto in D für Streichorchester. Tatsächlich ist die Minestrone ein fabelhaftes Beispiel für Atonalität. Da sie mit eigentümlichen Gemüsestückchen und -bröckchen durchsetzt ist, kann der Kunde nicht umhin, mit seinem Mund Geräusche zu machen, wenn er sie trinkt. Diese Töne werden nach einem bestimmten Muster zusammengestellt und wiederholen sich in Form einer Zwölftonreihe. Als ich den ersten Abend im "Fabrizio’s" war, tranken zwei Gäste, ein kleiner Junge und
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