Nebenwirkungen
weiß nicht, was über mich kam. Da stand er, der Präsident der Vereinigten Staaten, umgeben von bedeutenden Leuten. Seinem Kabinett, seinen Freunden. Dann sagte jemand: "Mr. Lincoln, dieser Mann da ist den ganzen Tag geritten, um Sie zu sprechen. Er möchte eine Frage stellen." Die ganze Zeit während des Reitens war ich die Frage im Geiste immer wieder durchgegangen. "Mr. Lincoln, Sir, unser Sohn Andrew hat einen Fehler gemacht. Ich kann mir vorstellen, wie gefährlich das ist, auf Wache einzuschlafen, aber so einen jungen Menschen hinzurichten erscheint so grausam. Mr. President, Sir, könnten Sie sein Urteil nicht mildern?"
ALICE: Das war die richtige Art, es zu sagen.
WILL: Aber als all die Leute mich anstarrten und der Präsident sagte: "Ja, wie ist Ihre Frage?", da sagte ich aus irgendeinem Grund: "Mr. Lincoln, was meinen Sie, wie lang sollten die Beine eines Menschen sein?"
ALICE: Was?
WILL: Genau. Das war meine Frage. Frag mich nicht, warum sie mir rausgerutscht ist. Was meinen Sie, wie lang sollten die Beine eines Menschen sein?
ALICE: Was ist denn das für eine Frage?
WILL: Ich sag’s dir ja, ich weiß es nicht.
ALICE: Die Beine? Wie lang?
WILL: O Alice, verzeih mir!
ALICE: Wie lang sollten die Beine eines Menschen sein? Das ist die dämlichste Frage, die ich je gehört habe.
WILL: Ich weiß, ich weiß. Erinnere mich bloß nicht dauernd daran.
ALICE: Aber warum die Beinlänge? Ich meine, Beine sind doch kein Thema, das dich besonders interessiert.
WILL: Ich grabbelte nach Worten. Ich vergaß mein ursprüngliches Anliegen. Ich konnte die Uhr ticken hören. Ich wollte nicht aussehen, als wäre ich auf den Mund gefallen.
ALICE: Hat Mr. Lincoln irgendwas gesagt? Hat er geantwortet?
WILL: Ja. Er sagte, so lang, daß sie bis zum Boden reichen.
ALICE: So lang, daß sie bis zum Boden reichen? Was zum Kuckuck soll das denn heißen?
WILL: Wer weiß? Aber er kassierte einen Riesenlacher. Diese Burschen sind natürlich aufs Reagieren geeicht.
ALICE: (wendet sich plötzlich ab) Vielleicht wolltest du gar nicht wirklich, daß Andrew begnadigt wird.
WILL: Was?
ALICE: Vielleicht willst du tief in dir drin gar nicht, daß das Urteil unseres Sohnes gemildert wird. Vielleicht bist du eifersüchtig auf ihn.
WILL: Du bist verrückt. Mir - mir... Ich? Eifersüchtig?
ALICE: Warum nicht? Er ist stärker. Er geht eleganter mit Pickel, Axt und Hacke um. Er hat ein Gespür für den Boden, wie ich’s noch bei keinem gesehen habe.
WILL: Hör auf! Hör auf!
ALICE: Sehen wir doch der Sache ins Gesicht, William, du bist ein miserabler Bauer.
WILL: (zittert vor panischer Angst) Ja, ich geb’s zu! Ich hasse den Ackerbau! Die Samen sehen für mich alle gleich aus! Und der Boden! Ich kann ihn nie von Dreck unterscheiden! Ja du, aus dem Osten, mit deiner feinen Bildung! Du lachst über mich. Machst dich lustig. Ich säe Rüben, und es kommt Getreide raus! Du denkst wohl, das schmerzt einen Mann nicht?!
ALICE: Wenn du nur die Samentütchen an einem kleinen Stock befestigtest, wüßtest du, was du gesät hast!
WILL: Ich möchte sterben! Alles geht schief!
(Plötzlich wird an die Tür geklopft, und als Alice sie öffnet, ist es kein anderer als Abraham Lincoln. Er ist abgekämpft und hat rote Augen.)
LINCOLN: Mr. Haines?
WILL: Präsident Lincoln ...
LINCOLN: Diese Frage -
WILL: Ich weiß, ich weiß ... wie dumm von mir! Mir fiel einfach nichts anderes ein, ich war so nervös. (Haines fällt weinend auf die Knie. Auch Lincoln weint.)
LINCOLN: Dann hatte ich recht. Es war eine Scherzfrage.
WILL: Ja, ja... verzeihen Sie mir...
LINCOLN: (hemmungslos weinend) Das tue ich, das tue ich. Erheben Sie sich. Stehen Sie auf. Ihr Sohn wird heute begnadigt. Wie allen Jungs, die einen Fehler gemacht haben, vergeben wird.
(Er schließt das Ehepaar Haines in seine Arme.) Durch Ihre dumme Frage ist mir ein neuer Sinn für mein Leben aufgegangen. Dafür danke ich Ihnen und liebe ich Sie.
ALICE: Uns ist ja auch ein bißchen was aufgegange, Abe. Dürfen wir Sie so nennen ... ?
LINCOLN: Ja, klar, warum nicht? Leute, habt ihr irgendwas zu essen? Ein Mann reist so viele Meilen, da bietet ihm wenigstens was an. (Während sie Brot und Käse brechen, fällt der Vorhang.)
Wir aßen für Sie im "Fabrizio’s"
(Ein Meinungsaustausch in einer der Zeitungen, die etwas mehr zum Denken anregen. Fabian Plotnick, unser anspruchsvollster Restaurantkritiker, berichtete darin über Fabrizio’s Villa Nova Restaurant in der
Weitere Kostenlose Bücher