Nebenwirkungen
sich mit mir zu unterhalten, und ich nahm ihre Zeit allein für mich in Anspruch und kümmerte mich nicht um die Bedürfnisse der anderen Gäste des Nachmittags. Wir sprachen über Fotografie (ihr Hobby) und Bücher. Sie las gerade mit großem Vergnügen ein Buch von Joseph Heller. Sie fand es lustig, und mit ihrem gewinnenden Lachen sagte sie, während sie mein Glas füllte: "Mein Gott, ihr Juden seid wirklich exotisch." Exotisch? Sie sollte nur mal die Grünblatts kennenlernen. Oder Mr. und Mrs. Scharfstein, die Freunde meines Vaters. Oder vielleicht auch meinen Vetter Tovah. Exotisch? Ich meine, sie sind heikel, aber kaum exotisch mit ihrem endlosen Gezänk über die beste Art, Verdauungsstörungen zu bekämpfen, oder darüber, wie weit weg vom Fernseher man sitzen solle.
Emily und ich sprachen Stunden über Filme, erörterten meine Theaterhoffnungen und ihr neuerwachtes Interesse an der Herstellung von Collagen. Offensichtlich hatte diese Frau viele schöpferische und intellektuelle Bedürfnisse, die aus dem einen oder anderen Grund in ihr eingeschlossen blieben. Doch klar sichtbar war sie nicht unglücklich über ihr Leben, so wie sie und ihr Mann, John Chasen, eine ältere Spielart des Mannes, von dem man gern sein Flugzeug steuern ließe, wie verliebte Täubchen turtelten und tranken. Wirklich, im Vergleich zu meinen eigenen Eltern, die unbegreiflicherweise vierzig Jahre lang miteinander verheiratet waren (wahrscheinlich aus Trotz), erschienen Emily und John wie das Ehepaar aus dem Bilderbuch. Meine Familie konnte selbstverständlich ohne Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen unmittelbar vor der gegenseitigen Artilleriebeschießung noch nicht mal über das Wetter reden.
Als es Zeit wurde, nach Hause zu fahren, war ich recht bekümmert, und ich fuhr ab mit Träumen von Emily, die vollkommen von meinen Gedanken und Plänen beherrscht wurden.
"Sie sind doch lieb, nicht wahr?" fragte Connie, als wir in Richtung Manhattan rasten.
"Sehr", stimmte ich bei.
"Ist Dad nicht unwiderstehlich? Er ist wirklich amüsant."
"Hmm." Ich mußte gestehen, ich hatte kaum zehn Sätze mit Connies Dad gewechselt.
"Und Mom sah heute phantastisch aus. Besser als lange schon. Sie hat mit Grippe krank gelegen."
"Sie ist wirklich toll", sagte ich.
"Ihre Fotos und Collagen sind sehr gut", sagte Connie. "Ich wollte, Dad machte ihr mehr Mut, statt so altmodisch zu sein. Künstlerische Kreativität macht einfach keinen Eindruck auf ihn. Hat sie noch nie."
"Zu schade", sagte ich. "Ich hoffe, es ist für deine Mutter über all die Jahre nicht zu enttäuschend gewesen."
"Aber ja", sagte Connie. "Und Lindsay? Hast du dich in sie verliebt?"
"Sie ist entzückend - aber nicht deine Klasse. Zumindest, wenn du mich fragst."
"Ich bin erleichtert", sagte Connie lachend und küßte mich leicht auf die Wange. Das himmelschreiende Miststück, das ich bin, konnte ich ihr natürlich nicht erzählen, daß es ihre unglaubliche Mutter war, die ich wiedersehen wollte. Ja selbst beim Fahren tickte und blinkte mein Verstand wie ein Computer voller Hoffnung, irgendeinen Plan auszuhecken, wie ich mehr Zeit für diese überwältigende, wundervolle Frau herausschinden könnte. Wenn man mich gefragt hätte, wohin das meiner Meinung nach führen sollte, ich hätte es wahrhaftig nicht sagen können. Ich wußte nur, als ich durch die kalte, nächtliche Herbstluft fuhr, daß irgendwo Freud, Sophokles und Eugene O’Neill ihre helle Freude hatten.
Die nächsten paar Monate über gelang es mir, Emily Chasen viele Male zu sehen. Normalerweise waren wir ganz unschuldig mit Connie zu dritt, wobei wir uns mit Emily in der Stadt trafen und in ein Museum oder Konzert gingen. Ein- oder zweimal machte ich mit ihr etwas allein, weil Connie zu tun hatte. Connie entzückte das - daß ihre Mutter und ihr Liebhaber so gute Freunde seien. Einmal oder zweimal richtete ich es so ein, daß ich "durch Zufall" auch dort aufkreuzte, wo Emily war, und erreichte so, daß ich mit ihr anscheinend unvorhergesehen einen Spaziergang machte oder Drinks nahm. Es war offenkundig, daß sie an meiner Gesellschaft Spaß hatte, da ich teilnehmend ihren künstlerischen Bestrebungen lauschte und herzlich über ihre Witze lachte. Wir sprachen über Musik und Literatur und das Leben, und meine Ansichten unterhielten sie durchweg köstlich. Es war auch offensichtlich, daß der Gedanke, mich als irgend etwas mehr als nur als neuen Freund zu betrachten, ihrem Bewußtsein nicht fern lag. Oder wenn,
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