Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
nun also auch Vormulac Ohneschlaf, der unglücklicherweise abwesende Gebieter der düsteren Vormspitze, kaum fünfzehn Zentimeter vom Mittelpunkt seines Gehirns entfernt einen goldenen Ohrring.
Anderthalb Stunden waren vergangen, seit Maglore seine geistigen Kräfte zuletzt auf dieses mächtige Abbild, jenes abstrakte Symbol einer fremden Mathematik, konzentriert hatte. Inzwischen hatte er sich genährt und auch andere ... Gelüste befriedigt. Nun, gesättigt und ein gut Teil entspannter, versuchte er es auf ein Neues.
Vormulac, ja.
Mit diesen Gedanken verschloss er seinen Geist für alles andere, ließ seine langen klauenartigen Finger auf dem massiven, glänzenden, seltsam gedrehten Goldreif ruhen und seine seherischen Kräfte auf der Suche nach dem Krieger-Lord Giftkeim westwärts schweifen.
Und im nächsten Augenblick ...
Vormulac Ohneschlafs Stimmung war ebenso düster wie seine Seele – sofern er eine hatte. Der Flug von Turgosheim über die Große Rote Wüste in diese unerforschte Gegend weit im Westen war, gelinde gesagt, beschwerlich gewesen und, wenn man es recht betrachtete, im Grunde ein einziger haarsträubender, nervenzerfetzender Albtraum!
Selbstverständlich wäre es Lord Vormulac niemals auch nur im Traum eingefallen, dies vor einem der niederrangigen Lords (geschweige denn vor einer Lady) zuzugeben. Die ganze Zeit über hatte er den Anschein des großen, durch nichts zu erschütternden, völlig undurchschaubaren Anführers aufrechterhalten, des Krieger-Lords Vormulac von Turgosheim. Doch insgeheim ... hatte er sich des Öfteren gewünscht, dass er niemals aufgebrochen wäre, und genauso oft hatte er gedacht, dass er dies niemals durchstehen würde.
Obgleich jener mächtigste Lord der Wamphyri sowohl ebenso für seine Macht wie auch seiner melancholischen Zustände wegen bekannt war, blickte er heute noch finsterer, verschlossener und Unheil verkündender als sonst. Gleichzeitig wirkte er – aufrecht, hart wie Stahl an der Spitze einer dereinst beeindruckenden Streitmacht im Sattel seines Flugrochens sitzend – jedoch auch entschlossener denn je. Denn als Wratha sich vor drei langen Jahren aus dem Staub gemacht hatte, hatte er einen Racheschwur geleistet, und er hatte nicht vor, sich das Vergnügen nehmen zu lassen, diesen Eid nun zu besiegeln.
Vormulac war ein wahrer Hüne von über zwei Metern. Er war zwar kein strikter Anhänger des Zolteismus, schwelgte aber auch nicht in allen erdenklichen Genüssen. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Macht hatte er den anderen Lords kein Übel angetan. Seine Truppen hatten – außer zur Verteidigung der Vormspitze – niemals angegriffen, aber wenn er, was hin und wieder vorkam, gezwungen gewesen war, Krieg zu führen, dann gründlich und rücksichtslos. Vormulac war eben ein harter Mann! Vor achtzig Jahren hatte er die Gonarspitze und Trogstatt in Schutt und Asche gelegt und ihre Herren, in Ketten gefesselt, an ihren eigenen Brüstungen aufgehängt, um den Schmelztod durch die aufgehende Sonne zu erwarten. Seither war die Schlucht von inneren Streitigkeiten weitgehend verschont geblieben.
Vor einhundertzwanzig Jahren war Vormulac zum Herrn der Vormspitze aufgestiegen. Dennoch trug er noch immer den rasierten Schädel und die Stirnlocke eines gemeinen Knechtes. Was damals seinem einstigen Herrn Engor Sporensohn recht gewesen war, war Vormulac noch immer billig. Seine Sklaven, seine Leutnante und selbst seine Frauen waren gleichermaßen geschoren, und einige jüngere Lords eiferten dieser Mode nach, allen voran Zack Kahlkopf der Lachende von Zackenspitze.
Vormulacs Stirnlocke hatte ihren mattschwarzen Glanz durch die langen schlaflosen Jahre verloren und schimmerte nun eisengrau, wie mit Staub bedeckt. Geflochten und mit Perlen durchsetzt, hing sie ihm bis auf die Brust herab. Seine eng zusammenstehenden Augen waren nicht völlig rot, sondern mit gelben Flecken gesprenkelt und lagen tief in ihren ockerfarbenen Höhlen. Seine Nase war lang und schmal und ihr Rücken scharf gebogen. Ihre Schrunden und die Nasenlöcher waren nicht so ausgeprägt wie bei den meisten anderen Lords, aber ihre Länge war äußerst ungewöhnlich; die Spitze reichte fast bis zur Mitte seiner Oberlippe und verlieh seiner Miene etwas falkenhaft Strenges.
Er wirkte streng, gewiss, aber auch schwermütig. Manche sagten, er habe seit siebzig Jahren nicht geschlafen, weil er um eine verlorene Liebe trauere, andere, dass er sich vor dem Einschlafen fürchte, weil er Angst habe, als
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