Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
gleichgesinnte Geister aufeinander, allerdings musste sich der Hellseher, was dies anging, auf Nathans Wort verlassen.
Thikkoul war kaum mehr als ein ehrwürdiges Lumpenbündel in einer vom Licht einer beständig flackernden Kerze beleuchteten Nische in einem unterirdischen Mausoleum, das von seinen respektvollen Thyre-Nachkommen, den Einwohnern von Fluss-Schnelle, behütet wurde. Obgleich sich die Siedlung der Thyre über dreitausend Kilometer östlich des Gebiets der Lidescis befand und gut dreißig Kilometer jenseits des Graslandes in der Wüste lag, spielte die Entfernung doch keine Rolle. Die Reise ging innerhalb eines Moments vonstatten.
Nathan begab sich nicht direkt in die Halle der Endlosen Stunden. Ein solch plötzliches Eindringen wäre unziemlich gewesen. Außerdem war ihm klar, dass die Thyre von Fluss-Schnelle wahrscheinlich ein ziemliches Aufhebens um ihn machen würden. Nicht dass ihm nichts an ihrer Wertschätzung lag, und er hätte sie auch gerne erwidert – doch dazu war einfach nicht genug Zeit. Die Tage, da er »endlose Stunden« in den Kolonien der Thyre verbringen konnte, waren seit Langem vorüber.
Doch es gab einen Ort in der Wüste, an dem er einst unter dem Nachthimmel gelegen und mithilfe der Totensprache mit Thikkoul gesprochen hatte, sodass der Astrologe durch seine Augen blicken und ihm aus den Sternen die Zukunft vorhersagen konnte. Dorthin nahm er Goodly mit, und ebendort wartete auch der Geist Thikkouls auf ihn.
Ich wusste, dass du kommen würdest, Necroscope. Thikkoul konnte es kaum erwarten.
Thikkoul, sagte Nathan, ich habe einen Freund mitgebracht. Wir haben uns bereits über ihn unterhalten. Er befindet sich hier ...
... um dir zu bestätigen und vielleicht auch zu erklären, was ich sehe? Ja, ich entsinne mich. Aber woher soll er wissen, was ich sehe, wo er doch die Totensprache nicht beherrscht?
Ich werde dir nicht nur die Augen ersetzen, Thikkoul, sondern auch die Stimme!, erwiderte Nathan lächelnd. Er legte sich am Hang einer Düne nieder und bedeutete Goodly, sich neben ihn zu setzen. Laut sagte er:
»Nun, was ist mit deinen Vorahnungen? Was beunruhigt dich so sehr?«
Mein ganzes Leben lang habe ich die Sterne geliebt, antwortete Thikkoul. Er ließ Nathan Zeit, seine Worte flüsternd zu wiederholen, damit auch Goodly sie mitbekam. Sonne, Mond und Sterne, alle Himmelsphänomene waren für mich wie ein Plan, in dem ich lesen konnte – was geschehen war und was noch eintreten würde. Als kleiner Junge hielt ich es noch für bloße Erinnerungen. Aber als manche der Dinge, die ich gesehen hatte, tatsächlich eintraten, wusste ich, dass ich einen Blick in die Zukunft getan hatte!
Des Nachts konnte ich in unseren unterirdischen Siedlungen, selbst in einem verschlossenen, abgedunkelten Raum, den Mond und die Sterne über mir spüren ... Ich fühlte geradezu, wie der Mond in seiner Umlaufbahn von der schieren Masse unseres Planeten angezogen wurde, und außerdem auch noch von einer weiteren, sonderbaren Kraft, deren Zentrum jenseits des Grenzgebirges auf der Sternseite liegt. Und wie der Mond empfand auch ich die Verlockung, allerdings wurde mein Geist von allen Himmelskörpern angezogen! Selbst wenn ich sie nicht sah, spürte ich sie doch um mich kreisen! Ich war mir stets ihrer Gegenwart bewusst, und obwohl sie meinem Blick oftmals verborgen waren, vermochte ich dennoch zumindest einen Teil der Omen, die sie bargen, zu deuten.
Und wie im Leben, war es auch im Tod. Denn wie du wohl weißt, Necroscope, beschäftigen wir uns auch in der ewigen Dunkelheit noch mit dem, was wir im Leben am liebsten taten. Sogar jetzt, wo ich tot bin, spüre ich immer noch den Einfluss der Sterne und etwas von dem, was sein wird ...
Als Thikkoul verstummte, »übersetzte« Nathan für Goodly. Anschließend fragte er: »Was genau spürst du?«
Etwas äußerst Merkwürdiges!, antwortete Thikkoul. Seine Totenstimme klang so schwach und zittrig, dass Nathan eine Gänsehaut überlief. Anstelle des ewigen Kreislaufs der Sterne fühle ich, wie diese ganze Erde in Bewegung gerät und sich der Sonne entgegenneigt! Die Last des Mondes spüre ich so wie immer, ebenso jene fremdartige Kraft jenseits des Grenzgebirges, doch nun gibt es da eine weitere, unwiderstehliche Macht, der selbst eine ganze Welt nichts entgegenzusetzen hat!
Nathan war völlig verblüfft, und Goodly flößte allein der Gedanke an das, was er hier mitbekam, nämlich die Worte eines Toten, Ehrfurcht ein. Gleichzeitig durchfuhr
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