Necroscope 8: BLUTFÜRSTEN (German Edition)
Findlingsebene verstreut liegen für jeden sichtbar die Überreste weiterer Felsentürme, die in einem gewaltigen, schrecklichen Krieg zerstört wurden. Ihre zerschmetterten Stümpfe sind rauchgeschwärzt, und überall finden sich Hinweise auf eine ungeheure Hitze und Explosionen. Denn in jenen vergessenen Zeiten schien die Sonne auch auf die Sternseite!«
»Diese ›Sage‹ ist mir nicht unbekannt, mein Lord!«, erwiderte Zahar. »Doch bin ich, mit Verlaub, älter als du und weiß, dass sie den Tatsachen entspricht. Ich war damals noch ein Kind auf der Sonnseite, acht oder neun Jahre alt, und ...«
»Einen Moment!« Erneut wandte Nestor ihm den Blick zu, neugierig diesmal. »Erst sag mir eines ... Vermisst du sie?«
»Wen, mein Lord?« Zahar runzelte die Stirn.
»Deine Kindheit. Dein ... Menschsein? Vermisst du die Sonnseite? Du wurdest von Vasagi geraubt und zu dem gemacht, was du jetzt ... bist. Aber ... das ist noch gar nicht so lange her, etwas über drei Jahre? Du erinnerst dich doch gewiss daran, wie es gewesen ist? Sag es mir, Zahar! Fehlt dir, was du hattest und was du warst?«
Völlig verblüfft konnte Zahar nur die Achseln zucken. »Ich bin ein Vampir, mein Lord. Ich habe, was ich habe, was Vasagi – und du, mein Lord – mir gegeben habt. Wenn ich Glück habe ... sehr viel Glück, nun, dann kann es sein, dass ich ewig lebe! Oder wenn schon nicht ewig, dann doch für eine sehr lange Zeit. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich vermag es nicht zu sagen, ich weiß einfach nicht, ob mir irgendetwas ›fehlt‹. Oh, es gibt Dinge, die ich begehre, gewiss. Aber ... ich bin nun einmal ein Vampir, mein Lord!«
»Und warum fehlt es dann mir? Eh?« Nestors Stimme klang mit einem Mal tiefer, erfüllt von einer merkwürdigen Melancholie. »Wie kommt es, dass du dich an alles zu erinnern vermagst, ohne dass es dir etwas bedeutet, während ich, wo ich doch nahezu alles vergessen habe, mir ... so viele Gedanken darum mache?«
»Du machst dir Gedanken um die Sonnseite? Um die Traveller?« Zahar zuckte die Achseln. »Das ist nicht schwer zu verstehen. Immerhin sind die Szgany deine Lebensgrundlage, sie bedeuten Zukunft und Langlebigkeit für dich. Das Blut ...«
Ohne sein Gegenüber anzublicken, hob Nestor eine Hand und schnitt ihm damit das Wort ab. Müde sagte er: »Erzähle mir nicht, dass es das Leben ist, denn das weiß ich bereits. Aber ziehe doch einmal etwas anderes in Betracht: Könnte es auch den Tod bedeuten?«
Zahar war verwirrt, doch dann lächelte er tapfer. »Du ... du spielst ein Wortspiel mit mir! Habe ich Recht, mein Lord?«
Zunächst schüttelte Nestor den Kopf, doch im nächsten Augenblick nickte er. »Natürlich.«
»Darin bin ich nicht so gut, mein Lord«, meinte Zahar bedauernd. »Selbst wenn er gut gelaunt war, hat Vasagi nie viel gesprochen – und wenn, dann nur sehr merkwürdig.«
»Hmm!«, machte Nestor nachdenklich und griff dann das vorherige Thema wieder auf: »Nein, ich mache mir keine Gedanken um die Szgany, und schon gar nicht um die Szgany Lidesci. Jedenfalls nicht mehr!«
»Obwohl sie dein Volk waren?« Doch Zahar erkannte sofort, wie dumm es war, einem Wamphyri eine solche Frage zu stellen. »Selbstverständlich nicht, mein Lord!«, fügte er deshalb rasch hinzu. »Alles, was dich kümmert, bist du selbst. Und natürlich deine Stätte und ... diejenigen in deiner Obhut?«
Abermals bedachte Nestor ihn mit einem Blick. »Habe ich mich etwa nicht um Wratha die Auferstandene gekümmert?«
Das Lächeln war aus Zahars Gesicht gewichen. Nun ging es nicht mehr nur um das Denken auf verschlungenen Pfaden und die Lust am Argumentieren um des Argumentierens willen. Jetzt musste er aufpassen, was er auf diese Frage antwortete. »Dies ist doch nur ein Spiel, mein Lord? Ich meine ... soll ich offen sprechen?«
In Nestors blutrotem Blick lag keinerlei Regung, als er erwiderte: »Oh ja, das verlange ich!«
Zahar stellte fest, dass seine Kehle trocken war. »Vielleicht ... vielleicht sollte man das weniger ›kümmern‹ als vielmehr ›begehren‹ nennen, mein Lord?« Er krümmte sich innerlich, während er auf eine Reaktion wartete.
Doch Nestor schien keinerlei Anstoß daran zu nehmen und fragte ohne langes Zögern: »Heißt das also, dass Vampire Liebe nicht kennen?«
»Ich habe zwar schon davon gehört, es aber noch nie gesehen.« Froh, wieder in sicherem Fahrwasser zu sein, seufzte Zahar erleichtert auf.
»Liebst du, Zahar?«
»In deiner Stätte gibt es Frauen, mein Lord
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