Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
in seinem Zimmer kam von dem wolkenverhangenen Mond, der durch die hohen, bleiglasgefassten Fenster schien. Für mich war es völlig ausreichend.
Das Zimmer stank nach ihm – nach Alkohol, Schweiß und Verderbnis. Ich verzog den Mund, doch ich ließ mich nicht beirren. Lautlos trat ich an sein Bett und sah auf ihn herab, so wie er eine Woche zuvor über mir aufgeragt hatte. Dann löste ich die Perlen von meinem Hals und hielt sie straff gespannt und bereit in beiden Händen.
Zuletzt sammelte ich Spucke in meinem Mund und spuckte ihm ins Gesicht.
Da erwachte er, blinzelte verwirrt und wischte sich meinen Speichel von den Wangen.
»Bist wach, was?«, wiederholte ich seine eigenen Worte. »Gut. Das musst du auch sein. Wir haben da was zu regeln.«
Er schüttelte den Kopf, als käme er aus einem Unwetter zurück ins Trockene. Dann weiteten sich seine Augen in entsetztem Erkennen. »Emily! Du bist es! Wusste ich’s doch, dass du zurückkehren würdest. Dass der kleine Simpton log, als er davon faselte, ein Vampyr hätte dich Gezeichnet und entführt.«
Als er sich mühte, sich aufzusetzen, handelte ich. Schneller und stärker, als jedes menschliche Mädchen es vermocht hätte, wickelte ich die auf Draht gezogenen Perlen um seinen fetten Hals und zog die Schlinge zu. Während ich immer fester zog, sah ich ihm unverwandt in die Augen und sagte in einem Ton, der keine Spur menschlicher Milde enthielt: »Ich bin nicht zu dir zurückgekehrt. Ich bin gekommen, um mit dir abzurechnen.« Er begann sich aufzubäumen, und seine dicken heißen Hände trommelten auf mich ein, doch ich war kein schwaches, krankes Mädchen mehr. Seine Schläge mochten Spuren auf mir hinterlassen, doch sie hielten mich nicht auf. »Ja, prügle mich! Übersäe mich mit blauen Flecken! Das macht meine Geschichte nur noch glaubhafter. Verstehst du, ich musste mich doch wehren, als du mich schon wieder angriffst. Ich wollte nur, dass du zugibst, dass es ein Verbrechen war, was du mir antatest, aber du wolltest dich noch einmal an mir vergehen. Diesmal ist es dir nicht gelungen.«
Seine Augen traten ihm aus dem puterroten Gesicht, bis es aussah, als weine er Blut. Ganz zuletzt, ehe er ein letztes Mal erfolglos darum kämpfte, Luft zu holen, sagte ich ihm: »Und mein Name ist nicht Emily. Mein Name ist Neferet.«
Als es vorüber war, wickelte ich die Perlen wieder von seinem Hals los. Sie hatten sich tief in seine schlaffe Haut geschnitten und waren mit seinem Blut beschmiert. Sorgsam trug ich sie in den Händen, während ich durch die dunklen Straßen von Chicago zurückging. An der stählernen State Street Bridge, die sich über die übelriechenden Fluten des Chicago River spannt, hielt ich an und ließ die Kette ins Wasser fallen. Noch sehr lange schien sie auf der dunklen Oberfläche zu treiben, dann leckten schwarze, ölige Zungen darüber und zogen sie unter Wasser wie ein Opfer, das angenommen wurde.
»Jetzt ist es zu Ende«, sprach ich laut einen Schwur in die Dunkelheit der Nacht hinaus. »Mit seinem Tod beginnt mein neues Leben als Neferet.«
Als ich die Tore des House of Night durchschritt, erwartete mich wiederum Cordelia. Während ich mich ihr näherte, begann ich zu weinen. Meine Mentorin breitete die Arme aus und tröstete mich mit mütterlicher Güte.
Natürlich musste ich dem Schulrat die Geschichte erzählen. Ich erklärte, so unklug es gewesen sei, in jener Nacht sei ich mit dem Vorsatz zu Barrett Wheiler gegangen, er solle einsehen, welch eine Untat er an seiner Tochter verübt hatte. Stattdessen habe er sich auf mich gestürzt. Ich habe mich lediglich verteidigt.
Man kam überein, dass ich Chicago verlassen sollte, während die hiesige Polizei bestochen und die Vorstandschaft der Bank zum Schweigen gebracht würde. Durch einen glücklichen Zufall sollte sich gerade in der kommenden Nacht ein Eisenbahnzug des House of Night auf den Weg nach Südwesten, ins Gebiet von Oklahoma, machen, um dort nach einem geeigneten Ort für ein neues House of Night zu suchen. Ich sollte mich der Expedition anschließen. Gesagt, getan – und so sitze ich in diesem Augenblick in einem prachtvoll ausgestatteten Eisenbahnabteil und schreibe die letzten Sätze meiner Aufzeichnungen.
Cordelia hat mir erzählt, Oklahoma sei stark mit den Ureinwohnern Amerikas verflochten – heiliger Boden, geschwängert von uralten Traditionen und der Magie der Erde. Dort, in den Tiefen dieses Landes, will ich mein Büchlein begraben und mit ihm Emily Wheiler,
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