Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
mich vor der Vortreppe absetzte. Mr. Simpton hatte mich nach drinnen begleiten wollen, doch ich hatte protestiert, er solle sein entzündetes Bein nicht mehr als nötig belasten. Vaters Kammerdiener und meine Kammerdienerin warteten ja drinnen.
Und dann hatte ich etwas getan, was mich selbst überrascht hatte. Ich hatte mich vorgebeugt und dem alten Herrn die Wange geküsst. »Ich danke Ihnen, Sir. Ich stehe in Ihrer Schuld. Heute Abend haben Sie mich gerettet – zweimal sogar.«
»Ach, nichts zu danken! Ich freue mich über Arthurs Wahl. Erholen Sie sich gut, Kind. Bald werden wir mehr Gelegenheit haben, uns zu unterhalten.«
Während ich das Foyer betrat und das Gaslicht darin entzündete, dachte ich, wie glücklich ich mich doch schätzen konnte, Arthur und seine freundlichen Eltern gefunden zu haben. Nach der beruhigenden Dunkelheit in der Kutsche und den nächtlichen Straßen schien das Licht wie Nadeln in meinen Schläfen zu stechen. Ich löschte es gleich wieder.
»Mary!«, rief ich. Im Haus rührte sich nichts. »Carson! Hallo?«, rief ich von neuem, doch meine Worte wurden von einem schrecklichen Hustenanfall überlagert.
Ich sehnte mich nach den tröstenden Schatten meines Gartens und der Dunkelheit unter der Weide – ach, wie gewiss ich mir war, dass sie mir Linderung gebracht hätten! Doch ich fühlte mich so entsetzlich krank, dass ich wusste, ich musste zu Bett gehen. Um ehrlich zu sein, das Fieber und der immer stärkere Husten begannen mich zu ängstigen. Ich quälte mich die Treppen hinauf und wünschte mir, Mary würde mich hören und kommen, um mir zu helfen.
Doch ich war noch immer allein, als ich endlich mein Schlafzimmer erreichte, an der Schnur zog, die in Marys kleiner Kammer im Keller die Glocke läuten würde, und auf meinem Bett zusammenbrach. Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag und nach Atem rang. Es kam mir sehr lange vor. Ich war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Wo war Mary? Warum war ich allein? Ich versuchte die Leiste winziger Knöpfe aufzuknöpfen, die von meinem Nacken bis hinunter zu meiner Hüfte verlief, um mein enges grünes Kleid ausziehen zu können, doch selbst wenn ich mich völlig gesund gefühlt hätte, wäre das fast unmöglich gewesen. In dieser Nacht aber war ich nicht einmal in der Lage, Mutters Perlenkette zu lösen.
Also lag ich vollkommen angezogen auf dem Bett, zwischen Hustenanfällen nach Atem ringend, in einem Zustand, der eher Träumen als Wachen glich. Eine Woge der Schwäche zwang mich, die Augen zu schließen. Ich glaube, danach schlief ich, denn als meine Sinne die Welt wieder wahrzunehmen begannen, glaubte ich mich in den Klauen eines grauenhaften Albtraums zu befinden.
Ich roch ihn, noch ehe ich in der Lage war, die Augen zu öffnen. In meinem Schlafzimmer stank es nach Brandy, saurem Atem, Schweiß und Zigarren. Mit Mühe hob ich die Lider. Er ragte als dräuender Schatten über meinem Bett auf.
»Mary?«, fragte ich, weil ich mich weigerte zu glauben, was meine Sinne mir sagten.
»Bist wach, was?« Seine Zunge war schwer vor Alkohol und Zorn. »Gut. Das musst du auch sein. Wir haben da was zu regeln.«
»Vater, ich bin krank. Bitte warte bis morgen, wenn es mir besser geht.« Ich schob mich tiefer in meine Kissen, um mehr Abstand zwischen uns zu bringen.
»Warten? Ich habe lange genug gewartet!«
»Vater, ich muss Mary rufen. Der Doktor hat doch gesagt, ich solle einen heißen Grog trinken. Den soll sie mir machen.«
»Ruf Mary, so viel du willst – sie wird nicht kommen. Und Carson, George oder die Köchin auch nicht. Ich hab sie alle auf die Ausstellung geschickt. Gesagt, sie sollen sich die Nacht frei nehmen. Hier ist niemand außer uns beiden.«
Das war der Moment, in dem ich Angst bekam. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, rutschte ich auf die andere Seite des Bettes, weg von ihm, und stand auf. Vater war alt und betrunken. Ich war jung und flink. Wenn ich es nur schaffte, an ihm vorbeizukommen, würde er mich nicht einholen können.
Doch in dieser Nacht war ich nicht flink. Mir war schwindelig vor Fieber, und vor Husten bekam ich kaum Luft. Meine Beine waren wie aus Blei, und als ich versuchte, an ihm vorbeizuhuschen, stolperte ich.
Vater packte mich am Handgelenk und zerrte mich zurück. »Diesmal nicht! Diesmal regeln wir’s ein für alle Mal!«
»Wir haben nichts zu regeln! Ich werde Arthur Simpton heiraten, dich und dein abartiges Benehmen hinter mir lassen und gut und glücklich leben! Denkst du, ich
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