Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
er kannte. Das war doch Ciprian! Dann bekam er einen Tritt ins Gesicht.
Ciprian bewegte sich in der Hocke weiter voran. Er blieb hinter der Balustrade, während er seine Tasche öffnete und sorgfältig das Präzisionsgewehr zusammensetzte, das ihm all die Jahre so treue Dienste erwiesen hatte. Die Kugeln konnten Panzerglas durchschlagen. Er hatte mit diesem Gewehr schon Panzer gestoppt, hatte auf den Hängen Sarajevos mit diesem Gewehr gelegen und drei Hauswände mit einer Kugel durchbohrt. Es hatte ihn nie im Stich gelassen. Er war ganz ruhig. Zwar war es etwas spät, um den Feind noch loszuwerden, aber ohne ihre Hartnäckigkeit und ihren Kampfgeist würde der Gesetzesentwurf niemals realisiert werden. Ciprians Anweisungen waren wie immer eindeutig.
Marek Kowalewski hasste es aufzugeben. Er hatte Blutgeschmack im Mund und kaute zahnlos auf seinen eigenen Zähnen herum. Außerdem hatte er das Gefühl, seine Nase würde ihm schief im Gesicht sitzen. Aber so schnell gab er nicht auf. Die Pistole lag zwei Meter von ihm entfernt. Langsam kroch er in die Richtung. Ciprian hatte das Gewehr bereits über den Rand der Balustrade gehoben, als er sich umdrehte und Kowalewskis Mühen bemerkte. Er schüttelte den Kopf wie beim Anblick eines ungezogenen Kindes, legte das Gewehr beiseite und ging neben Kowalewski in die Hocke.
Kowalewski war noch einen halben Meter von seiner Pistole entfernt, als Ciprian seine Waffe mit Schalldämpfer hob. Kowalewski hielt inne und sah direkt in Ciprians Augen, als dieser ihm die schallgedämpfte Pistole auf das Gesicht richtete. Kowalewski dachte nicht daran, dem Blick auszuweichen. Der dumpfe Knall eines Schusses erklang. Obwohl er vermutlich gerade einen Kopfschuss abbekommen hatte, wendete Kowalewski den Blick nicht ab. Ciprian hingegen wirkte betrübt, als ob die Pistole versagt hätte. Dann erklang ein weiterer dumpfer Schuss, und eine blutige Rosette erblühte auf Ciprians Stirn. Er sackte vornüber.
Kowalewski sah verschwommen eine Gestalt. Mit gezogener Pistole. Ebenfalls mit Schalldämpfer.
Eine Plastikpistole.
Die Gestalt sprach, und Kowalewski hörte in seinem Headset: »Kerstin Holm hier. Ich habe einen Scharfschützen getötet.«
Kowalewski ahnte, dass er lächelte. Er stammelte: »Noch einen Schuss. Nur zur Sicherheit.«
Dann verlor er das Bewusstsein.
Kerstin Holm öffnete sein Hemd und riss die kugelsichere Weste auf. Zwei große blaue Flecken prangten auf Kowalewskis unbehaarter Brust.
Dann stand sie auf und trat an die Balustrade. Sie nahm sein Fernglas und sah hinunter auf die Bühne. Das Fernglas zitterte in ihrer Hand. Marianne Barrière sprach noch immer, aber es war die Gestalt links von ihr, die Holms Aufmerksamkeit fesselte.
Es war Paul Hjelm. Er schwieg. Warf ihr aber wie eine Operndiva einen Luftkuss zu.
Nehmen wir dies zum Anlass für den Beginn einer neuen Ära. Lassen Sie uns neue Werte in der Politik verankern. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Gesetze der Wirtschaft uns Menschen kleinhalten. Es ist unsere Pflicht, dagegen aufzubegehren. Wir sollten wieder vorwärtsdenken. Lassen Sie Selbstlosigkeit und Anstand wieder einen Teil der Politik werden. Trotz aller Weltuntergangsprophezeiungen sind wir in vielerlei Hinsicht auf dem richtigen Weg. Die Welt ist ein besserer Ort geworden, die Diktaturen in Lateinamerika und Afrika sind gestürzt, die Fremdenfeindlichkeit hat insgesamt gesehen abgenommen, Seuchen sind ausgerottet worden, die Malariaimpfungen nehmen zu, und es werden auch immer weniger Kriege geführt. Das Böse in unserer heutigen Welt ist konservativ, es will diese positiven Kräfte hemmen, weil die eigenen Privilegien in Gefahr sind. Lasst uns die Welt wieder ins Lot bringen, lasst uns der Dominanz der Ökonomie eine klare Absage erteilen. Kapitalismus ist keine Ideologie, wir sollten den Begriff wieder für das verwenden, wofür er bestimmt ist: nämlich für die effiziente Produktion von Waren und Dienstleistungen. Aber er hat nichts in unseren Köpfen zu suchen. Für so viele Menschen wie möglich die gleichen Ausgangsbedingungen zu schaffen, das ist von nun an die Zielsetzung der Politik. Es soll nicht mehr darum gehen, die Kluft zwischen Reich und Arm zu vergrößern, nicht der Gedanke soll uns bestimmen, dass nur das Ich zählt, wir wollen Menschen nicht mehr dazu zwingen, in jeder Lebenssituation nur an den materiellen Gewinn zu denken. Wir Menschen sind mehr als das. Heute machen wir den ersten Schritt, um wieder den Anstand in die
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