Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
schlief sie mit dem Kopf auf seiner Schulter ein. Er streichelte ihr über das Haar und dachte an Kerstins vergangene Wochen in diesem Teil von Europa.
Sie hatte trotz aller Widrigkeiten eine Menge erreicht. Sie hatte Wang Yunli wieder mit ihren Zwillingssöhnen vereint, aber auch miterleben müssen, wie ein zwölfjähriger Chinese ermordet wurde. Zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte sie einen Mörder erschossen. Sie hatte Marek Kowalewskis und Marianne Barrières Leben gerettet. Und womöglich auch Europa gerettet.
Erst jetzt spürte Paul Hjelm, wie fürchterlich müde er war. Wie dieser Fall ihm alle Kraft geraubt hatte. Für einen flüchtigen Moment erlaubte er sich, zufrieden zu sein. Ihnen war das meiste geglückt.
Schlafen konnte er trotzdem nicht.
Er war frisch verheiratet und glücklich, und seine gerade angetraute Ehefrau schlief tief und fest in seinem Arm, aber schlafen konnte er trotzdem nicht.
Er griff nach dem Laptop.
*
Donatella Bruno saß auf ihrem einzigen richtigen Möbelstück, der Schlafcouch, in ihrer neuen Einzimmerwohnung in Den Haags ältestem Stadtteil. Das inoffizielle, abgegriffene Ermittlungsmaterial lag vor ihr auf dem Tisch verstreut, als es an der Tür klingelte. Es war Samstagabend, gegen zehn Uhr, wer sollte um die Zeit an ihrer Tür klingeln? Sie holte ihre Dienstwaffe und sah durch den Spion. Da stand ein junger Mann, der eine Schirmmütze von einer Botenfirma trug. Er hielt ein Paket in der Hand.
Donatella Bruno versteckte die rechte Hand mit der Pistole hinter ihrem Rücken und öffnete.
»Ein Paket für Frau Donatella Bruno«, sagte der Bote.
»Fräulein«, korrigierte sie.
»Selbstverständlich«, sagte er lächelnd.
»Liefern Sie auch samstagabends aus?«, fragte sie.
»Rund um die Uhr, jeden Tag«, antwortete der Bote. »Das ist unsere Marktlücke, um gegen die harte Konkurrenz zu bestehen.«
»Stellen Sie es dorthin«, sagte sie und zeigte auf die Kommode hinter der Tür.
Sie unterschrieb elektronisch mit der linken Hand und sah den jungen Mann die Treppen hinunterlaufen, schloss die Tür und guckte noch eine Zeit lang durch den Spion. Alles blieb ruhig.
Dann legte sie die Dienstwaffe beiseite und musterte das Paket. Es war quadratisch und vielleicht etwa dreißig Zentimeter breit. Sie besah es sich genauer. Der Absender lautete »Loving gifts«, eine Adresse in London. Das beruhigte sie. Ihr letzter Liebhaber war ein Universitätsdozent aus London mit einer Neigung zu außergewöhnlichen Geschenken gewesen.
Sie trug das Paket zum Schlafsofa und stellte es auf das Ermittlungsmaterial. Vermutlich sollte sie es nicht öffnen. Aber die Neugierde war stärker. Mit einem Brieföffner schlitzte sie das Paketband auf und öffnete den Deckel.
Im Paket lag der Kopf eines Mannes. Ein wölfisches Lächeln umspielte noch seine Lippen.
Donatella Bruno stieß einen Schrei aus und zuckte zurück.
Dann sah sie ihn sich näher an.
Aus seinem Mund ragte, wie eine groteske Zigarre, ein kleines Reagenzglas mit einer Flüssigkeit. In der Flüssigkeit schwamm ein sehr kleiner Gegenstand.
Ein Mikrochip.
Da fiel ihr Blick auf die leuchtenden Digitalziffern neben dem Kopf. Sie zählten rückwärts.
00:05, 00:04.
Donatella Bruno stieß einen Stoßseufzer aus und dachte: Ihr habt gewonnen.
00:03, 00:02.
Dann dachte sie: Scheiße.
00:01, 00:00.
Und dann gab es nichts mehr.
*
Nachdem Paul Hjelm festgestellt hatte, dass der Laptop den Sturz von der Bettkante überlebt hatte, suchte er nach Hotels in Paris. Er wollte etwas Besonderes, wollte, dass es besondere Tage würden.
Doch dann ertönte plötzlich ein Alarm. Er wusste nicht mehr so ganz, was er eingestellt hatte, bevor er zu einer anderen Homepage gewechselt hatte.
Es war der Peilsender. Das elektronische Signal von Antonio Rossi, das wieder aktiviert worden war.
Hjelms Puls schlug schneller. Zu seinem großen Erstaunen sah er, dass der Sender hier, in Den Haag, war. War Rossi zurückgekehrt, ausgerechnet hierher?
Da erlosch der Blip abermals, und zeitgleich gab es draußen eine dumpfe Detonation. Er trat ans Fenster. Über der Altstadt stieg eine Rauchwolke in die Höhe.
Da gab sein Rechner ein Geräusch von sich. Ein Geräusch, das Hjelm kannte. Er hatte eine Mail erhalten.
Die Mail kam von einem unbekannten Absender. Er öffnete sie. Sie enthielt keinen Text, nur eine Videodatei.
Er klickte darauf, und ein Dialogfenster erschien. Er wusste nicht, was er da sah, registrierte aber, dass das Video nicht länger
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