Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Unterschrift. Der Fahrradkurier sprang mit der für Kuriere typischen Geschwindigkeit die Treppe hinunter, und der Mann an der Tür reichte dem Kleineren den Umschlag, der damit aus dem Bild verschwand. Sofort betätigte Bouhaddi einige Tasten, und aus der Vogelperspektive war zu sehen, wie der Mann sich an einen Schreibtisch mit mehreren Computern setzte. Dann legte er den Umschlag in einen Apparat. Ein Lichtstreifen wanderte darüber, zweimal, und der Mann studierte aufmerksam die Monitore. Erst dann riss er den Umschlag auf und sagte etwas mit tiefer Bassstimme in einer Sprache, die Kerstin Holm an ein grobes Italienisch erinnerte.
Die Übertragung seiner Stimme war relativ schwach, dafür aber war Adrian Marinescus unmittelbar folgende Simultanübersetzung in einem sorgfältig modulierten Ostblockenglisch umso lauter: »Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob die das hinbekommen haben. Ich habe die Skandinavier so satt. Verdammte Geizhälse. Und in Griechenland hat noch nicht einmal mehr die feine Gesellschaft Kohle.«
Danach waren Grunzlaute im zweistimmigen Kanon zu hören, wahrscheinlich Gelächter. Der Mann faltete das Papier aus dem wattierten Umschlag auf und las es. Er nickte, schwieg aber.
»Die agieren sehr wenig auf digitalem Weg oder via Handys«, sagte Bouhaddi. »Wir sind der Ansicht, dass sie so das Abhörrisiko verringern wollen.«
»Aber sie haben keinen Verdacht geschöpft, oder?«, fragte Holm.
»Dafür gibt es keine Anzeichen«, erwiderte Hjelm. »Das scheint eher eine allgemeine Vorsichtsmaßnahme zu sein.«
»Könnte man nicht den Fahrradkurier abfangen?«
»Die Lieferungen gehen auf die unterschiedlichsten und absonderlichsten Weisen vonstatten«, sagte Bouhaddi, »außerdem gibt es hier in Amsterdam eine absurd große Anzahl an Fahrradkurierfirmen. Unser waghalsigster Zug war bisher, dass einer unserer Leute auf der anderen Seite den Kurierfahrer angehalten hat und so den Inhalt des Umschlags fotografieren konnte. Das warst du, Marek, oder?«
Auf einem dritten Bildschirm tauchte Marek Kowalewski auf. Er saß an einem bedeutend kleineren Schreibtisch in einem wesentlich kleineren Raum als dem eleganten Wohnzimmer der Witwe Bezuidenhout. Er schob sein breites, rotes Gesicht in die Kamera und sagte erstaunt: »Mann, seid ihr viele.«
»Ein Ehrengast«, erläuterte Hjelm.
Ein weiteres Gesicht schob sich von der Seite in die Kamera, eine Südländerin, die Kerstin Holm aber nicht kannte. Allerdings vermutete sie, dass es sich um Donatella Bruno handeln musste, die ehemalige Chefin der nationalen Opcop-Einheit in Rom. Sie hatte sich dazu überreden lassen, sich von der meteorologischen Hitze Roms in die professionelle Hitze von Den Haag versetzen zu lassen.
Es folgte eine kurze Begrüßung, bevor Marek erzählte: »Ja, das war ich. Ich habe den Fahrradkurier erwischt, ehe er die Eingangstreppe betreten hat. Also habe ich ihn um die Ecke gezogen, den Umschlag geöffnet und seinen Inhalt fotografiert. Ihr habt Kopien auf euren Rechnern. Danach musste ich den Umschlag wieder sehr sorgfältig verschließen.«
»Wir wissen, dass die Umschläge vor dem Öffnen immer erst geröntgt werden«, sagte Bouhaddi. »Wir wissen allerdings noch nicht, wonach die dabei suchen.«
»Meine größte Befürchtung war«, fuhr Kowalewski fort, »dass der Kurierfahrer das große Zittern bekommt, wenn einer der Fleischschränke die Tür öffnet. Aber es ist alles gut gegangen. Die haben keinen Verdacht geschöpft. Aber das ist keine zukunftsträchtige Vorgehensweise. Viel zu riskant.«
»Hier ist das Dokument«, sagte Bouhaddi und öffnete auf einem vierten Monitor eine Aufnahme. »Es handelt sich um einen Code, wie ihr seht. Unsere Experten sitzen schon seit einer Woche daran, ohne ihn knacken zu können. Er besteht aus zwei Teilen, dies hier scheint ein Fließtext zu sein, und das sieht eher aus wie eine Liste.«
»Und was glaubt ihr, worum es sich dabei handelt?«, fragte Holm und betrachtete die handschriftlichen Buchstabencodes.
»Vermutlich handelt es sich um Lageberichte der verschiedenen Niederlassungen in ganz Europa«, erklärte Hjelm. »Ereignisse, Probleme, Einnahmen und natürlich Neuzugänge – die expandieren ja in einer erschreckenden Geschwindigkeit. Vielleicht geht es auch um ein operatives Geschäft.«
»Ich begreife nach wie vor nicht, wie man so viel Geld mit Bettlern verdienen kann«, sagte Kerstin Holm aufrichtig erschüttert.
»Doch, das kann man tatsächlich«, bestätigte
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