Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
Wettrüsten von Massenvernichtungswaffen geben musste, um unsere Gesellschaft und uns selbst zu beschützen.
Meine Suche nach Lösungen für dieses Dilemma machte mich zum professionellen Beobachter menschlicher Konfliktsituationen. Doch mit der Beobachterrolle allein wollte ich mich nicht zufriedengeben. Als Verhandlungsführer und Mediator wollte ich das Gelernte anwenden. So kam es, dass ich in den vergangenen drei Jahrzehnten stets als neutraler Dritter hinzugezogen wurde: Ich versuchte, zwischenmenschliche Konfliktsituationen zu entschärfen, egal ob es nun um Familienstreitigkeiten, um den Streik von Bergleuten, um Firmenkonflikte oder ethnische Kriege im Nahen Osten, in Europa, Asien und Afrika ging. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte ich Gelegenheit, Tausende von Menschen und Hunderte von Organisationen und Regierungsbehörden dabei zu beraten, wie sie unter den schwierigsten Umständen eine Einigung herbeiführen können.
Im Verlauf meiner Arbeit wurde ich Zeuge der riesigen Verschwendung und des sinnlosen Leidens, das destruktive Auseinandersetzungen hervorrufen können – zerstörte Familien und Freundschaften, verheerende Streiks und Rechtsstreitigkeiten sowie gescheiterte Unternehmen. Ich suchte die Kriegsgebiete persönlich auf und sah mit eigenen Augen, wie Gewalt die Herzen unschuldiger Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Ironischerweise erlebte ich aber auch Situationen, in denen ich mir mehr Konflikt und Widerstand gewünscht hätte – wenn Partner und Kinder schweigend Misshandlungen hinnahmen, wenn Vorgesetzte ihre Angestellten schikanierten oder wenn ganze Gesellschaften in Furcht lebten und unter dem Joch einer totalitären Diktatur litten.
Auf der Basis des Program on Negotiation , des Programms für sachbezogenes Verhandeln, das wir an der Harvard Law School entwickelten, erarbeitete ich bessere Möglichkeiten, um mit unseren Schwierigkeiten und Differenzen fertig zu werden. Vor 25 Jahren waren Roger Fisher und ich als Autoren an einem Buch beteiligt, das den Titel Das Harvard-Konzept trägt und das sich auf die Frage konzentriert, wie man eine Einigung erzielt, die beide Seiten zugute kommt. Das Buch wurde meiner Ansicht nach deshalb ein Bestseller, weil es die Menschen an die Prinzipien des gesunden Menschenverstandes erinnert, die sie wahrscheinlich schon kennen, aber häufig vergessen anzuwenden.
Zehn Jahre später schrieb ich ein Buch mit dem Titel Schwierige Verhandlungen , weil ich von den Lesern des ersten Werkes allzu häufig gefragt worden war, wie man kooperativ verhandeln kann, wenn die andere Seite gar kein Interesse daran hat. Wie kann man mit schwierigen Menschen und in schwierigen Situationen sachbezogen verhandeln und zu einer Einigung gelangen?
Im Lauf der Jahre wurde mir klar, dass der Versuch, zu einem Ja zu kommen, nur eine Hälfte der Wahrheit ist – und zwar die leichtere. Ein Kunde von mir, der Geschäftsführer einer Firma, sagte eines Tages zu mir: »Eine Einigung zu erzielen ist für meine Leute kein Problem. Viel schwerer fällt es ihnen, Nein zu sagen.« Oder wie der langjährige britische Premierminister Tony Blair es formulierte: »Gutes Führungsverhalten zeigt sich nicht durch die Fähigkeit, Ja zu sagen, sondern Nein.« Lange nach der Veröffentlichung von Das Harvard-Konzept erschien ein Cartoon in der Zeitung Boston Globe . Ein Mann in Anzug und Krawatte bat einen Bibliothekar um ein gutes Buch zum Thema Verhandlungstechnik. »Dieses hier ist sehr beliebt«, antwortete der Bibliothekar und reichte ihm ein Exemplar des Harvard-Konzepts . »Hier geht es darum, wie Sie durch sachbezogenes Verhandeln zu einer Einigung gelangen.« »An einer Einigung bin ich gar nicht interessiert!«, konterte der Mann.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich bei meiner Arbeit davon ausgegangen, dass Konflikte nichts anderes seien als die Unfähigkeit, sich zu einigen. Aber dabei hatte ich etwas Wichtiges übersehen. Denn selbst wenn es gelingt, eine Einigung zu erzielen, handelt es sich oft um eine unsichere oder unbefriedigende Lösung, weil die wahren Probleme vertuscht oder nicht offen angesprochen, sondern lediglich vertagt werden.
Langsam wurde mir klar, dass der Hauptstolperstein bei Verhandlungen nicht darin besteht, dass zwei Parteien kein gemeinsames Ja erzielen können, sondern in ihrer Unfähigkeit, sich im Vorfeld zu einem Nein durchzuringen. Allzu häufig geschieht es, dass wir nicht Nein sagen, obwohl wir es durchaus wollen oder zumindest genau wissen, dass
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