Nelken fuers Knopfloch
dieser Junge sich so gut entwickelt hat! dachte er, als er sich die Decke über die Brust zog und das Licht löschte. Erziehung? Ich halte nicht allzuviel davon. Gut geratene Menschen sind gutgeartete Menschen. Und dachten wir damals, als wir den kleinen, dicken Kerl einpackten, um ihn Heliane zum Geburtstag zu schenken, an die Zukunft? Mit keinem Gedanken! Wir hätten auch bös danebengreifen können. Und was dann geworden wäre, daran wage ich nicht einmal zu denken. Eigene Kinder sind Schicksal. Aber ein fremdes Kind, das danebengerät, wenn man es an Kindes Statt angenommen hat- das ist eine Katastrophe.
Er schloß die Augen und drehte sich auf seine Schlafseite, aber er lag noch lange wach. Die Möglichkeiten, denen er Heliane mit seinem Einfall, ein Kind zu adoptieren, ausgesetzt hatte, wirbelten in seinem Kopf herum und verursachten ihm Angstträume.
11
Pforten stand in einem eleganten, schwarzseidenen Morgenmantel in dem Badezimmer zwischen den beiden Schlafräumen und massierte vor dem Rasierspiegel mit rotierenden Bewegungen eine Hormoncreme in seine Gesichtshaut ein. Wenn man dem Text auf dem pompösen Etikett des Cremetiegels glauben durfte, so versprach die tägliche Anwendung des Präparates ewige Jugend. Er drückte das Kinn nach vorn, machte den Hals lang, betrachtete sein Gesicht mit dem gründlichen Ernst eines Hautspezialisten und schien mit dem Ergebnis der Untersuchung zufrieden zu sein.
»Ich glaube, dieses Schmierzeug bügelt die Falten tatsächlich aus...«
Heliane oblag einer ähnlichen Beschäftigung. Sie saß dazu vor ihrem Frisiertisch, in dessen geschliffenen Spiegeln sie sich von drei Seiten betrachten konnte. Mit den dicken Tupfen einer weißen Fettcreme auf Stirn, Wangen und Hals, die sie von der Haut erwärmen ließ, ehe sie sie verrieb, sah sie aus, als hätte sie sich lustig maskiert. Der Ausdruck ihrer Augen war allerdings alles andere als heiter.
»Sag einmal, Micha, findest du nicht auch, daß Manfred verändert aus Hartenstein zurückgekommen ist?«
»Ja — mit einem blauen Auge, das jetzt allmählich gelb wird.«
Er trat, seine Stirn mit trommelnden Fingerkuppen massierend, in Helianes Zimmer ein und sah sie durch den Spiegel fragend an. »Verändert? Mir ist nichts aufgefallen...«
»Er ist so ganz anders als sonst«, sagte sie nachdenklich, »so zurückgezogen... Er läuft, ob das Wetter es zuläßt oder nicht, mit dem Hund stundenlang spazieren und sperrt sich auf seinem Zimmer ein, wenn er im Hause bleibt. Er war doch eigentlich nie ein Einzelgänger...«
Pforten blinzelte sie durch den Spiegel an. Er stellte den rechten Fuß in einer gespreizt graziösen, sehr komisch wirkenden Pose zur Seite und griff mit den Fingerspitzen auf einer imaginären Gitarre einen Akkord.
»Ach, Heli...!«Und mit dick aufgetragenem Pathos deklamierte er:
»Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
er stürmt ins Leben wild hinaus...«
»Hör schon auf, Micha«, bat Heliane nur mäßig erheitert, »ich weiß, worauf du hinaus willst...«
»Manfred ist jetzt bald siebzehn! In seinem Alter...«
»Hattest du schon ein halbes Dutzend Herzen aufgespießt! Nein, Micha, du darfst nicht alles, was geschieht, nur durch deine eigene Brille ansehen.«
Ein Unterton in ihrer Stimme, die er in allen Nuancen kannte, ließ ihn aufmerksam werden.
»Was ist los, Liebling?« fragte er und betrachtete in dem großen Ankleidespiegel seine Figur. Sie war tadellos. Der kleine Bauchansatz, der ihm vor drei Monaten noch Sorgen gemacht hatte, war durch Gymnastik und strenge Diät restlos verschwunden. Heliane beobachtete ihn. Seine Eitelkeit, die sie jahrelang als zu seinem Beruf gehörend hingenommen hatte, begann sie nervös zu machen.
»Ich meine, Heli, du machst dir um Manfred unnötige Sorgen. Diese melancholischen Stimmungen haben wir in seinem Alter doch alle einmal durchgemacht. — Was sagst du zu meiner Figur? Na ja, ich habe das Training und die Diät ja auch eisern durchgehalten...«
»Wie standest du mit siebzehn zu deinem Vater?«
»Wie bitte? Ach so, zu meinem Vater... Ausgesprochen schlecht. Mit siebzehn stürzt man die alten Götter. Aber was soll deine Frage, Heli?«
Heliane griff zu einer harten Bürste und begann ihr Haar zu bearbeiten. Sie strich es vom Nacken in die Stirn, so daß sich ihre Augen hinter einem dichten kupfernen Vorhang verbargen.
»Ach, weißt du, Micha«, sagte sie nach kurzem Zögern, »es ist nicht meinetwegen — aber der Jungen wegen möchte ich dir doch
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