Nelken fuers Knopfloch
abwarten, ehe er etwas dagegen unternahm.
An den Abenden versammelten sich alle in der Halle. Man sah sich einen Ausschnitt des Fernsehprogramms an, das Pforten meistens mit bissigen Bemerkungen kommentierte, Heliane spielte Chopin, Schubert und Mozart, oder Etienne wurde aufgefordert, von seinen Expeditionen zu den Tempelruinen von Yukatan oder Peru zu berichten; er war der geborene Erzähler, der die fernen Länder und ihre versunkenen Kulturen so lebendig zu beschwören verstand, daß seine Zuhörer, besonders natürlich die beiden Buben, mit ihm an der Spitze seiner Indios sich mit Machetenhieben einen Pfad durch den Dschungel bahnten, bis sie endlich vor überwucherten Steinquadern standen, von denen ihnen bizarre Fratzen entgegengrinsten.
Wurden die Jungen dann zu Bett geschickt, mischte Pforten an der Bar noch einen Drink, man plauderte noch ein wenig und schaute durch die breite Glasfront dem Wetterleuchten zu, das die nachtdunkle Landschaft für Sekundenbruchteile in ein fahles, gespenstisches Licht tauchte. Da Pforten und Simone Simpson schon um acht Uhr morgens in den Ateliers sein mußten und daher Sachrang spätestens um sieben Uhr früh verließen, dehnten sich die Abende selten über Mitternacht aus. Pforten war nicht nur ein äußerst mäßiger Esser, er genoß auch den Alkohol mit Vorsicht, denn er kannte zu viele Kollegen, denen ihre Hausbar zum Verhängnis geworden war.
Etienne, der Frühaufsteher nur dann war, wenn es durchaus sein mußte, pflegte noch lange zu lesen, wenn er sich in sein gemütliches Zimmer zurückgezogen hatte. Er beschäftigte sich nicht nur mit wissenschaftlicher Literatur, nach zweijährigem Aufenthalt im tropischen Urwald hatte er auch sonst mancherlei nachzuholen. Mit der Pfeife zwischen den Zähnen und der Lesebrille auf der Nase hatte er es sich gerade bequem gemacht und die Beine über die breite Lehne seines Sessels gehängt, als es an der Tür zugleich klopfte und scharrte. Er klappte das Buch zu und legte die Brille ab.
»Komm nur herein, Manfred.«
»Darf Poldi mitkommen?«
»Selbstverständlich, mein Junge.« Er warf einen Blick auf seine Uhr, sie ging auf zwölf. »Ziemlich spät...«
»Ja, aber ich habe den Hund noch einmal vors Haus geführt und dabei gesehen, daß in deinem Zimmer das Licht brennt.« Er deutete mit dem Kinn auf einen Bücherstapel. »Du liest viel, Onkel Marcel...«
»Ja, ich habe eine Menge nachzuholen. Aber nimm doch Platz, mein Junge.«
Der Hund trottete heran, stupste seine feuchtkühle Nase freundlich an Etiennes Hausschuh und rollte sich auf dem schwarz-roten Afghan-Teppich zusammen. Manfred ließ sich auf einem gepolsterten Hocker nieder, nachdem er ein paar Bücher weggeräumt hatte. Sein Auge spielte noch in Farbtönen zwischen Gelb und Grün, aber die Schwellung war inzwischen völlig zurückgegangen, und der Hautriß zog sich als rosiger Streifen über Stirn und Wange.
»Gibt es etwas Besonderes, Manfred?«
»Dr. Schwertfeger hat mir ein paar Zeilen geschrieben. — Klaus Grafenstetter hat sich von Hartenstein abgemeldet.«
»Hast du das veranlaßt?«
»Nein, Onkel Marcel. Mir wäre es völlig gleich gewesen, ihm dort wieder zu begegnen. Ich fürchte nur, daß er die Geschichte seinen näheren Freunden noch rasch brühwarm erzählt hat.«
»Darum würde ich mich an deiner Stelle nicht kümmern.«
»Mir ist es auch ziemlich gleichgültig, ich weiß nur nicht, wie Thomas darauf reagieren wird, wenn er es erst in Hartenstein von den Jungs erfährt.«
»Warum erst in Hartenstein? Deine Mutter wird schon eine Gelegenheit finden, mit Tom über die Sache zu sprechen.«
Manfred beugte sich herab, er kraulte Poldi zwischen den Ohren und wickelte das Schlappohr um seinen Finger...
»Sag einmal, Onkel Marcel«, fragte er plötzlich unvermittelt, »will sich diese Ziege eigentlich für ewige Zeiten auf Sachrang einnisten?«
»Ich nehme an, daß du mit der Ziege Fräulein Simpson meinst...«, murmelte Etienne und hüstelte sich einen kleinen kitzelnden Belag von der Stimme.
»Genau!« antwortete Manfred mit einer Verbeugung.
»Wenn du sie schon durchaus als Ziege klassifizieren willst«, sagte Etienne sehr ernsthaft, »dann handelt es sich bei ihr zumindest um eine Angoraziege, denn sie hat ein schönes seidiges Fell und würde bei jeder Ziegenausstellung mit einer goldenen Medaille prämiiert werden. Oder bist du anderer Ansicht?«
Der Junge antwortete nicht. Er zog ein mehrfach zusammengefaltetes Zeitungsblatt aus der
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