Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nelson DeMille

Nelson DeMille

Titel: Nelson DeMille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Vermächtnis
Vom Netzwerk:
mitgeteilt, dass ich bei Hilton Head vor Anker gehen würde, und fast hätte ich es auch getan, aber sobald Land in Sicht kam, steuerte ich wieder auf See hinaus und warf nur einen kurzen Blick zurück. Ein klarer Schlussstrich. Kein Bedauern.
    Ich warf die Nacktfotos von Susan auf den Tisch statt ins Feuer. Vielleicht wollte sie sie haben.
    Ich goss einen weiteren Schuss Cognac in den Kaffeerest und trank einen Schluck.
    Ich blickte zu dem großen, kunstvoll gerahmten und von Hand kolorierten Porträt von Ethel und George Allard auf, das über dem Kaminsims hing.
    Es war ein Hochzeitsbild, während des Zweiten Weltkriegs aufgenommen, und George trägt seine weiße Marineuniform und Ethel ein weißes Hochzeitskleid nach der damaligen Mode. Ethel sah seinerzeit ziemlich gut aus, und ich konnte verstehen, weshalb Susans Großvater Augustus, der damals der Herr von Stanhope Hall war, ohne Rücksicht auf Standes- und Klassenzugehörigkeit mit seiner Bediensteten herumgemacht hatte. Es war natürlich in jeglicher Hinsicht unverzeihlich, zumal George, ebenfalls ein Angestellter auf Stanhope Hall, im Krieg war und Amerika im Pazifik wider die Gelbe Gefahr verteidigte. Aber wie ich als junger Mann während des Vietnamkriegs feststellte, zerreißen Kriege das soziale Gefüge einer Nation, und es kommt zu viel mehr Fummeleien und Fiedeleien als in Friedenszeiten.
    Ich starrte auf Ethels engelsgleiches Gesicht auf dem Foto. Sie war wirklich schön. Und einsam. Und George war weit weg. Und Augustus war reich und mächtig. Den Berichten der Angehörigen zufolge schien er allerdings kein so hinterhältiges und herrschsüchtiges Arschloch gewesen zu sein wie sein Sohn, mein ehemaliger Schwiegervater William. Ich glaube, Augustus war einfach geil - das zieht sich durch die ganze Familie Stanhope -, und wenn man sich ein Bild von Augustus' Frau, Susans Großmutter, anschaut, kann man verstehen, warum Augustus fremdging. Susan hat, glaube ich, ihr gutes Aussehen von ihrer Mutter Charlotte, die noch immer attraktiv ist, wenn auch hirnlos.
    Was das Thema Geist und Schönheit angeht, so besitzen meine Kinder beides, und es gibt auch keinerlei Anzeichen dafür, dass sie, wie viele Stanhopes, nicht alle Tassen im Schrank haben. Ich würde gern sagen, dass meine Kinder nach meiner Familie geraten sind, aber meine Eltern eignen sich genauso wenig als gute Beispiele für Psychohygiene. Ich glaube, ich wurde adoptiert. Ich hoffe es und bete darum.
    Mein Vater Joseph starb, als ich auf See war, und ich habe die Beerdigung verpasst. Mutter hat es mir nicht verziehen. Aber das ist nichts Neues.
    Und was das Thema Kinder, Vaterschaft und Genetik betrifft, so hatten Ethel und George ein Kind, eine Tochter, Elizabeth, die eine nette Frau ist und in der Gegend wohnt. Elizabeth hat ihre Schönheit von der Mutter, sieht aber George so ähnlich, dass ich bezüglich weiterer Stanhope'scher Erben beruhigt sein kann.
    Ich übe mich in Geduld und Langmut, was die Chancen angeht, dass meine Kinder einen Teil des Stanhope'schen Vermögens erben. Sie hätten ein bisschen Geld dafür verdient, dass sie es ihr Leben lang mit Oma und Opa ausgehalten haben. Ich ebenfalls, aber ein Nachlassgericht könnte meinen Anspruch auf die Stanhope'schen Besitztümer - zur Entschädigung für all die Jahre, die ich Williams Blödsinn ertragen musste - für unbegründet halten.
    Jedenfalls gibt es hier eine Geschichte - meine Familie lebt seit drei Jahrhunderten auf Long Island -, und diese Geschichte ist so verschlungen wie der englische Efeu, der Pförtner- und Gästehaus überwuchert; von weitem interessant anzuschauen, aber er verdeckt Form und Bausubstanz und frisst sich irgendwann in Ziegel und Mörtel.
    F. Scott Fitzgerald, der nicht allzu weit von der Stelle entfernt saß, wo ich mich jetzt befand, brachte es auf den Punkt, als er Der große Gatsby mit dem Satz schloss: »So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom - und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu.« Amen.
    Als ich zum Cognac griff, bemerkte ich einen Stapel alter Glückwunschkarten, die mit einem Gummiring zusammengehalten waren, und zog aufs Geratewohl eine heraus. Es war eine der üblichen Hallmark-Karten zum Hochzeitstag, und unter die vorgedruckten Liebes-, Freudens- und Treuebekundungen hatte Susan geschrieben: »John, Du weißt gar nicht, wie oft ich morgens aufwache und Dich einfach anschaue. Und das werde ich bis ans Ende meines Lebens tun.«
    Ich nahm den Stapel Karten und warf

Weitere Kostenlose Bücher