Nelson sucht das Glück
als sie den Welpen wie staunend zu sich aufblicken sah. Ihre eigenen Augen verloren zunehmend an Sehkraft, und wahrscheinlich würde sie schon bald wieder stärkere Gläser für ihre Brille brauchen, obwohl ihr Augenarzt ihr doch erst vergangenen Sommer neue verschrieben hatte. Viele Welpen waren bereits in dem kleinen Zimmer zur Welt gekommen, wo Mrs Anderson sich um Lolas und Nougats Junge kümmerte, so viele Jahre schon, seit ihr eigener Sohn nach Oregon umgezogen war. Die meisten Welpen waren süß und knuddelig, und sie liebte sie alle abgöttisch. Doch an der Art und Weise, wie Nelson an diesem Morgen zu ihr hochblickte, war etwas ganz Besonderes. Mrs Anderson wusste, dass das Sehvermögen von Hunden im Vergleich zu dem der Menschen eher begrenzt ist. Sie sahen kaum mehr als Schwarz und Weiß, waren jedoch farbenblind, wenn es um Rot oder Grün ging. Sie wusste, dass Hunden auch das dreidimensionale Sehen des Menschen fehlte, obwohl jegliche Bewegung sie in Aufregung versetzte. Doch an jenem Morgen sah Mrs Anderson in Nelsons großen Augen eine ganz besondere Neugier und Offenheit. Viele Jahre später dachte sie immer noch an ihn.
Schon bald hatten auch die übrigen Welpen aus Lolas Wurf die Augen geöffnet, und die Hundemutter wappnete sich für das, von dem sie spürte, dass es kommen würde. Die kleinen Beine der Hundekinder würden kräftiger werden, und sie würden sich rasant entwickeln und dabei immer größeren Hunger auf ihre Milch verspüren. Während der weiche Körper der Welpen bei der Geburt nur mit einem zarten Flaum bedeckt war, würde es nur noch wenige Wochen dauern, bis ihnen ein helles und leicht gelocktes Fell wuchs. Lola erinnerte sich an die lange Schlafphase, die sie bei ihrem letzten Wurf genossen hatte, nachdem alle ihre Welpen von ihr weggegangen waren, doch sie wusste auch noch, wie traurig sie damals gewesen war.
Nach einem Monat war aus Nelson und seinen Geschwistern ein wilder Haufen geworden. Nelson fand seine Familie spannend. Sie alle waren schrecklich verspielt und geradezu besessen davon, übereinanderzupurzeln und die anderen am mittlerweile dicht gewachsenen Fell zu zerren. Doch einige seiner Geschwister waren ruhiger als die anderen; manchmal waren sie vollkommen damit zufrieden, einfach nur mit ihrer Mutter oder anderen Geschwistern herumzuliegen und sich ruhig aneinanderzukuscheln und ihre Körperdüfte zu vermischen. Andere hingegen waren kaum zu bremsen; jeder von ihnen wollte der Beweglichste oder Schnellste sein und die Kontrolle über das rote Wollknäuel behalten, das Mrs Anderson manchmal in die kleine Wurfkiste rollen ließ, die sie mit ihrer Mutter teilten.
Nelsons Neugier sollte sich schon bald als der Charakterzug erweisen, der ihn von allen anderen unterschied. Mrs Anderson bemerkte, wie er ständig nach einer Möglichkeit suchte, aus der Kiste auszubüchsen, und bald fand er diese auch. Als sie eines Tages den Raum betrat, wäre sie fast auf den kleinen Welpen getreten, der hinter der Tür hockte und aufgeregt all die neuen Gerüche erschnupperte, die durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Boden hereindrangen. Sanft schalt sie ihn aus, hob ihn hoch und setzte ihn zu seiner Familie zurück. Und doch dauerte es nur ein paar Augenblicke, bis sich der Welpe mit den großen Augen wieder an der kleinen Öffnung zu schaffen machte, die er im hinteren Teil der Wurfkiste gefunden hatte, und es ihm gelang, hinauszuschlüpfen. Mrs Anderson verstopfte den Ausgang mit einem Paar alter Socken, doch die Neugier des kleinen Nelson wurde mehr und mehr von all den herrlichen Gerüchen geweckt, die ins Zimmer kamen. Von irgendeinem Ort im Haus, in dem es oft klapperte und klirrte, kamen besonders süße und fleischige Düfte, die ihn so hungrig machten, dass selbst die Milch seiner Mutter ihn nicht mehr richtig sättigen konnte.
Mrs Anderson machte es sich zur Gewohnheit, Nelson jeden Abend aus der Kiste zu holen und ihn eine Weile in ihren großen, schwieligen Händen zu halten und zu streicheln, während sie Musik hörte. Nelson liebte das und schlief oft dabei ein, erfüllt von grenzenlosem Genuss. Wenn er dann irgendwann wieder aufwachte, leckte er ihr die Finger auf die gleiche liebevolle Art, wie seine Mutter ihm das Bäuchlein leckte, was Mrs Anderson zu gefallen schien. Dass er der einzige Welpe war, dem sie diese besondere Ehre zuteilwerden ließ, war ihm nicht bewusst. Manchmal hielt Mrs Anderson Nelson ganz nah an ihr Gesicht. Zu dieser Zeit vermochte er
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