Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
Nichts ertönte. So wolln wir uns da wiedersehn ...
Maria stieg auf eine der hohen Turmzinnen. Eine dritte Person erschien auf der Plattform, ein Mann, der einen weißen Kittel trug, doch ich konnte weder sein Gesicht ausmachen, noch konnte ich erkennen, was er tat. Ich glaubte, ihn ihr zuwinken zu sehen – oder drohte er ihr?
Ich wusste es nicht. Tosender Schmerz brannte in meinem Kopf. Ich kniff die Augen zusammen, blickte erneut zu dem Burgfried hinüber und sah Maria noch immer, jetzt sogar noch deutlicher auf der Zinne stehen. Sie blickte über die Schulter in unsere Richtung und sah mir einen Moment lang geradewegs ins Gesicht. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, aber ich hatte das Gefühl, als bohre ihr Blick sich direkt in meinen. Dann hob sie ihre Pistole und setzte sich die stählerne Mündung mitten auf die Stirn. Tränen rannen über die Wangen ihres wachsbleichen, emotionslosen Gesichtes. Silbern schimmerten die Marionettenschnüre, die ihre Fingerglieder mit dem unsichtbaren, grausamen Marionettenspieler in unerreichbarer Ferne verbanden, der jede noch so winzige ihrer Bewegungen steuerte.
Wieder ertönte ein Schuss, doch dieser klang lauter, härter, brutaler als alles, was ich je gehört hatte. Ein greller Lichtblitz explodierte vor meinen Augen. Dann umfasste mich gnädige Dunkelheit, die mich von dem unsagbaren Schmerz hinter meiner Stirn erlöste.
Ich erwachte aufrecht auf beiden Beinen stehend vor einem gewaltigen steinernen Tor, das von drei Männern bewacht wurde, die mit Hellebarden und mehr als armlangen Schwertern bewaffnet waren. Sie trugen lange weiße Waffenröcke und machten nicht den Eindruck, als ob sie nur den Bruchteil einer Sekunde zögern würden, von ihren Waffen Gebrauch zu machen, wenn sich ihnen nur ein günstiger Vorwand dazu bot.
Waffenröcke? Ich korrigierte meinen Gedanken auf den zweiten Blick hin: Die Männer trugen blütenweiße Arztkittel mit kleinen Namensschildern auf der Brust, die ich jedoch nicht entziffern konnte. Einer von ihnen, ein junger Mann mit einer beginnenden Stirnglatze, trat einen Schritt auf mich zu. Ich erschrak nicht, zuckte nicht einmal zusammen, sondern empfand etwas ganz und gar Unpassendes, nämlich Schuldbewusstsein und Scham.
Dieses Tor zu passieren sei mir nicht erlaubt, erklärte mir der junge Mann in bestimmtem Ton, der Ort dahinter sei mir verboten, weil dort ein fürchterliches Ungeheuer lauere, das nur auf eine Gelegenheit warte, mich zu zerfleischen. Ich war mir sicher, dieses Tor schon einmal passiert zu haben und bemühte mich, Schuldbewusstsein hin oder her, mich an den Wachen vorbei zu drängeln, wurde aber von einem der Männer hart an der Schulter gepackt. Er zerrte mich von dem Tor weg, hielt mich mit eisernem Griff am Handgelenk fest und führte mich schließlich einen steilen, gewundenen Pfad hinab. Es war ein unfreundlich wirkender, alter Kerl, der aussah, wie Ed vermutlich ausgesehen hätte, wenn er die Sechzig in seinem Leben noch erreicht hätte. Im Laufschritt, in dem der Fremde mich mit sich zerrte, blickte ich über die Schulter hinweg zurück und erkannte erst jetzt, dass es das Tor von Burg Crailsfelden gewesen war, das zu passieren man mir verboten hatte. Der Torweg mit dem Fallgitter, das Ed und mich beinahe das Leben gekostet hätte! Von den Zinnen der Burg wehten überdimensionale Pfadfinderbanner.
Ein Mann und eine Frau mittleren Alters standen am Fuße des Berges, zu dem der Burgweg führte. Beide waren blond und hatten leuchtend blaue, klare Augen.
Sie standen vor einem große Mercedes älteren Baujahrs, der aber aussah, als käme er frisch vom Band und schienen dort auf mich gewartet zu haben.
Meine Eltern!
Ich erkannte sie erst, als ich sie bereits fast erreicht hatte, verstand nicht, warum sie hier waren, warum sie mich holen wollten. Mit unterwürfiger Freundlichkeit traten sie dem Fremden entgegen, der Ed so ähnlich sah, dabei hatte ich meinen Vater doch als einen so stolzen, selbstbewussten Menschen in Erinnerung. Oder bildete ich mir das nur ein? Schließlich wusste ich nicht viel von meinen Eltern, und das, was ich wusste, wurde stark durch die Bilder meines einzigen Fotoalbums geprägt.
Fast flehend und aus der Perspektive eines Kindes blickte ich zu dem Fremden hinauf, der mein Handgelenk noch immer so fest gepackt hielt, dass es schmerzte, doch der alte Mann beachtete mich nicht und besprach irgendetwas mit meinen Eltern, das ich nicht verstand.
Ich erwachte mit rasendem Herzen und in
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