Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
Ihre Mutter schielte schon ganz aufgeregt.
»Ich kann den Rollstuhl schieben«, sagte ich.
»Das ist sehr nett von Ihnen.« Jannes Mutter klammerte sich fester an die Griffe, als hätte sie Angst, dass ich ihr die Tochter entreißen wollte.
»Verpiss dich«, sagte Janne, ohne den Kopf zu drehen.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ sie vor.
Die selbst ernannte Psycho-Tunte hatte sich ein besticktes Kissen mitgebracht, auf dem sie jetzt thronte. Ihr Name fiel mir wieder ein: Kevin. Ihr Lippenstift erinnerte mich an Claudias, war aber großflächiger und vor allem ordentlicher aufgetragen. Friedrich strahlte, als er mich sah, sodass ich mir spontan das Gesicht abtastete. Es war aber noch alles wie vorher. Richard mit der Prothese hatte seine beiden Beine, das echte und das künstliche, auf den benachbarten Stuhl gelegt und guckte teilnahmslos aus dem Fenster.
Ich hatte den Raum nach Janne betreten. Ihr waren die Begrüßungen nur so entgegengeflogen. Bei mir vergaßen sie es ganz. Ich verzichtete ebenfalls darauf.
»Tschüss, Mama«, sagte Janne eisern zur Frau, die sich aufgeregt umschaute, von einem zum anderen, und dabei ihre kleine Handtasche knetete. Janne rollte an den Rand des Kreises, den die anderen mit ihren Stühlen gebildet hatten. Für sie war ein Platz frei gelassen worden, daneben stand ein Stuhl. Ich bewegte mich auf ihn zu, wurde aber jäh von Jannes Blick gestoppt. Du nicht , sagte dieser Blick, und ich drehte eine Pirouette und wechselte die Richtung, als wäre ich gerade gegen eine Glaswand gelaufen. Was aber niemand komisch fand.
Richard nahm, ohne mich anzusehen, seine Extremitäten vom zweiten freien Stuhl. Dabei sah er so genervt aus, als ob ich darum gebettelt hätte, neben ihm sitzen zu dürfen.
Der Guru verspätete sich. Wir saßen schweigend da. Janne hatte einen Punkt an der Wand fixiert und sah wie versteinert aus. Richard las die Süddeutsche. Kevin und Friedrich schauten nach Blickkontakt gierend in die Runde.
Die Tür flog auf. Bis auf Richard sahen alle auf.
Es war aber nur Marlon, den ich bereits vollkommen verdrängt hatte.
Jetzt nahm ich ihm eher ab, dass er blind war. Er stand in der Tür und wiegte sich auf den Fußballen. Seine Stirn war gerunzelt, und die Nasenflügel bebten. Ich fragte mich, wie seine Augen unter der Brille aussahen. Ob auch er etwas zu verbergen hatte. Oder ob ihm einfach jemand gesagt hatte, mit Brille würde er so cool aussehen wie Agent K aus »Men in Black«. Seine Freundin vielleicht. Er sah aus wie jemand, der regelmäßig Sex hatte.
»Hier ist frei«, sagte Janne leise. Er drehte den Kopf in ihre Richtung. Mit unsicheren Schritten ging er auf Janne zu, stolperte über ihren Rollstuhl und verlor fast das Gleichgewicht. Ihre Hand schnellte ihm entgegen, um ihn zu stützen, aber da stand er schon wieder. Jede Wette, dass er das absichtlich gemacht hatte. Dann ertastete er den freien Stuhl und ließ sich fallen. Er streckte seine Hand in Jannes Richtung, erreichte sie aber nicht. Und sie kam ihm diesmal auch nicht entgegen.
Ich fragte mich, ob Marlon ahnte, dass ihn gerade alle ansahen. Blinde spürten ja so etwas angeblich. Janne jedenfalls wusste genau, dass sie angestarrt wurde, als wären wir eine Proletenfamilie und sie unsere Glotze. Aber es schien ihr nichts auszumachen. Vielleicht genoss sie es sogar.
»Sind wir komplett?« fragte Marlon Janne. Sie zuckte mit den Schultern und sah kurz in die Runde.
»Der Guru fehlt«, sagte Richard. »Wahrscheinlich braucht er dringend ein neues Chinesisch-Lehrbuch.«
»Wieso Chinesisch?« fragte Friedrich.
»Weil ich mich eigentlich für einen Chinesisch-Crashkurs angemeldet habe.« Richard sah wehmütig aus dem Fenster.
»Ich glaube nicht, dass das hier so ein Kurs ist.« Friedrich klang verunsichert.
»Denkst du, ich glaube das?« Richard rollte die Zeitung zusammen, holte aus und schlug gegen die Wand. Kevin zuckte zusammen. Etwas Winziges, Schwarzes fiel auf den Boden. Hätte ich nicht das Knacken eines Panzers gehört, hätte ich es für eine Stubenfliege gehalten.
»Und du, Janne?« fragte Friedrich. »Warum bist du hier?«
Sie ignorierte die Frage. Schaute ihn nicht einmal an.
Wir hörten, wie jemand über den Flur rannte. Dann stand der Guru nach Luft schnappend in der Tür.
»Keinen Parkplatz gefunden?« fragte Kevin besorgt.
Der Guru hielt sich keuchend die Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. Er sah nicht nur völlig fertig, sondern auch sehr erstaunt aus.
»Ihr seid
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