Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
Lied arbeitest du?«, frage ich. Marc hat den Auftrag bekommen, die Musik zu einem neuen Theaterstück zu schreiben.
»An der Anfangsmelodie. Ein reines Klavierstück.«
»Passend, zumal es um einen Pianisten geht«, sage ich.
Er schmunzelt. »Ja, Schlaumeier. Aber bei den späteren Stücken kommt noch eine Sopransängerin dazu.«
»Für die Liebe?«, mutmaße ich.
»Geht es nicht immer darum?«, erwidert Marc mit einem Lächeln.
»Definitiv«, erwidere ich, ohne zu zögern, und küsse seinen Kopf. Damit habe ich ihn da, wo ich ihn haben wollte.
Mit einem Seufzen legt er den Bleistift zur Seite und erhebt sich. »Also los, gehen wir aus! Die Stadt ruft!«
Wir besuchen einen kleinen, neu eröffneten Club im Zentrum. Es ist laut, überfüllt und stickig, und wir sind müde, ausgelaugt und keine achtzehn mehr. So halten wir es auch nicht allzu lange aus. Gegen ein Uhr lösen wir unsere Jacken wieder aus und verlassen den Club. Hand in Hand schlendern Marc und ich über den breiten, nur mäßig beleuchteten Gehweg einer Seitenstraße, an deren Ende mein Wagen steht. Die Hand meines Freundes öffentlich zu halten ist ein Luxus, der mir nur selten zuteil wird. Nicht
ich
habe ein Problem damit, sondern er. Am Anfang unserer Beziehung war ich pikiert, wann immer er mir seine Finger entzog, bis mir Marc erzählte, er habe sich erst ein Jahr zuvor geoutet.
Für mich, der ich bereits seit meinem siebzehnten Lebensjahr öffentlich zu meiner Homosexualität gestanden habe, ist das bis jetzt nur schwer vorstellbar. Mittlerweile – nicht zuletzt durch die Offenheit und Akzeptanz, die Marc durch unsere heterosexuellen Freunde erfahren hat – ist er wesentlich offener.
Ich genieße die Nacht, auch wenn es die erste kühle dieses Herbstes ist, und die stille Selbstverständlichkeit, mit der wir nebeneinander gehen. Wie von selbst driften meine Gedanken zu Ben. Wann ist er das letzte Mal im Gleichschritt neben einem Menschen hergelaufen, der ihm so nahe stand wie Marc mir?
In diesem Moment vibriert mein Handy und reißt mich aus meinen Gedanken.
Beinahe trotzig halte ich Marcs Hand weiterhin fest und fummele unbeholfen mit meiner linken herum – im Versuch, die Innentasche meiner Jacke zu öffnen. Als ich mein Handy herausziehe, ist es bereits zu spät.
»Verdammt!«, sage ich und schaue auf das Display. Kneife zweifelnd die Augen zusammen, doch dieses Mal spielen sie mir ausnahmsweise keinen Streich. Die Anzeige bleibt dieselbe. Sie meldet nicht einen, sondern
neunzehn
Anrufe in Abwesenheit.
»Hier stimmt was nicht!«, sage ich, als ich sehe, dass sie alle von derselben Nummer stammen. Einer Nummer, die ich schon lange aus dem Register meines Handys gelöscht habe, die in meinem Kopf aber nach wie vor präsent ist.
»Wer war das?«, fragt Marc. Ich zögere die Antwort hinaus. »Ähm … Chris«, sage ich, als sich seine Augenbrauen besorgt zusammenziehen.
»Dein
Ex
Chris?« Marc legt den Kopf schief. »Was …?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber er hat schon achtzehn Mal zuvor angerufen, während meine Jacke noch an der Garderobe hing.«
»Ruf zurück!«, befiehlt Marc prompt. Ich selbst überlege noch kurz, dann drücke ich auf die Taste, die den Rückruf aktiviert.
Das Freizeichen erklingt nur einmal, schon höre ich seine Stimme wieder. Die des Mannes, mit dem ich vor Marc für ein Jahr zusammen war. Eine schreckliche Beziehung, die vorne und hinten nicht funktioniert hatte. Eine der Art, bei der man sich im Nachhinein noch fragt, warum man sie überhaupt so lange aufrechterhalten hat. Und vor allem, warum man dem anderen den finalen Zug überließ.
»Ah, der Herr Regisseur!«, ruft Chris zur Begrüßung.
»Du hast angerufen«, stelle ich nüchtern fest.
»Ja«, sagt er. Es folgt eine Pause … dann ein tiefes Seufzen. »Es könnte mir egal sein, aber ich wollte dich vorwarnen, Randy.«
»Klartext, Chris!«, fordere ich schroff.
»Okay! Also, falls du dich fragst, warum deine Hauptdarstellerin morgen nicht zu den Dreharbeiten erscheint … das ist dann wohl meine Schuld!«
Was zum Teufel …?
[home]
Ben erzählt.
B en, verdammte Scheiße, wir haben ein Problem!«
Mein Wecker zeigt 01:27 Uhr. Mitten in der Nacht. Das Klingeln des Telefons hat mich aus dem Tiefschlaf gerissen. Mit zerzaustem Haar sitze ich nun in meinem Bett und reibe mir über Stirn und Augen.
Ich habe geträumt. Von einer tanzenden Sarah, die sich an meine Brust schmiegte und sich von mir im Rhythmus der Musik
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