Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
den Kopf. »Niemandem ist etwas zugestoßen. Es geht allen gut. … ich nehme an, sie werden sich wohl eher um … um
dich
sorgen.« Und das war es. Von hier aus gibt es kein Zurück mehr
»Was. Ist. Los?« Drei kleine Worte, unter denen Sarahs sonst so zarte Stimme bebt. Ich spüre, dass ich nun für sofortige Klarheit sorgen muss.
Langsam ziehe ich die zusammengefalteten Papiere aus der Gesäßtasche meiner Jeans. Bevor ich sie Sarah reiche, sehe ich sie noch einmal tief an.
»Es ist ewig her, dass mir etwas dermaßen schwergefallen ist, wie das hier. Es tut mir unglaublich leid, Sarah.«
Sie schluckt so schwer, dass ich es nicht nur sehen, sondern auch hören kann. Dann greift sie zögerlich nach dem Papier in meiner Hand, faltet es auseinander und betrachtet die erste Seite.
An dem Wandel ihres Gesichtsausdrucks kann ich erkennen, wie die Erkenntnis langsam in ihr Bewusstsein tröpfelt und dort wie ein betäubendes Gift wirkt. Sarah scheint vor meinen Augen in Schock zu erstarren.
Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, bemerke ich, wie sich ihre Atmung beschleunigt und ihre Finger zu zittern beginnen.
Ich beobachte ihre Reaktion bis zu einem gewissen Punkt. Dann wende ich den Blick ab und bemühe mich vergeblich, den dicken Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken.
»Seit wann … weißt du …«, stammelt sie endlich.
»Randy hat mich mitten in der Nacht angerufen. Ich weiß es auch erst seit einigen Stunden.« Ich strecke meine Hand aus, um über ihre zu streichen, doch sie weicht meiner Berührung aus.
»Nicht, Ben! Jetzt nicht, bitte!«, sagt sie.
Tränen fluten ihre Augen, laufen über und rollen ungehindert ihre Wangen hinab. Sarah wischt sie nicht weg, sie starrt einfach immer weiter auf dieses verdammte Bild in ihren Händen.
»Madeleine! … Ausgerechnet Madeleine«, flüstert sie.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Worte an mich gerichtet sind. »Was, du kennst sie?«
Ein bitteres Lachen verzerrt Sarahs Mund. Selbst ihre Lippen zittern mittlerweile. »In England war sie meine beste Freundin. Wir waren ständig zusammen unterwegs. Diesen Schal …« Ich folge ihrem Zeigefinger, der über das Bild fährt und auf Madeleines Schal liegen bleibt. Dunkler Stoff, auffälliges Muster. »Den habe ich Dan für sie mitgegeben«, erklärt Sarah.
Und mit diesen Worten bricht die Starre von ihr. Ein tiefes Gefühl scheint sie zu überrollen und der Erkenntnis ein neues Gewicht zu verleihen, unter dem Sarah in sich zusammensackt.
Ein tiefes Schluchzen packt sie. Sie schlägt die Hände vor ihrem Gesicht zusammen und weint ungehemmt.
»Sarah!«, stoße ich hervor. Nie zuvor klang ihr Name verzweifelter. Hin- und hergerissen mache ich Anstalten, sie zu umarmen – aus einem tiefen Impuls heraus – und weiche in letzter Sekunde wieder zurück, als mir ihre Abweisung von zuvor einfällt. Allerdings schaffe ich es nicht, komplett an mich zu halten. Also strecke ich meinen Arm ein weiteres Mal nach ihr aus, begebe mich bewusst in die Gefahr, erneut zurückgewiesen zu werden. Das Bedürfnis, ihr Halt zu geben, ist stärker als die Angst. Und dieses Mal beugt sie sich zur Seite und fällt direkt in meine Arme. Jeder Zentimeter ihres zierlichen Körpers vibriert und zuckt – und ich halte sie.
»Es tut mir so leid«, wispere ich und drücke einen Kuss auf ihr Haar.
Nach einer Weile weicht Sarah zurück und wischt sich die Tränen von den Wangen.
Dunkle Ränder liegen nun unter den zugeschwollenen Augen – die verschwommenen Überreste ihrer Wimperntusche.
»Verflucht, Ben, was mache ich denn jetzt?«, fragt sie schniefend.
Ich beuge mich vor, öffne das Handschuhfach und ziehe eine Packung Papiertaschentücher hervor. Reiche Sarah eins und beobachtete stumm, wie sie sich Augen und Nase abtupft.
»Vielleicht gibt es eine Erklärung«, setze ich halbherzig an, aber sie wirft mir einen Blick zu, der mich schnell verstummen lässt.
»Ja, du hast recht. Dafür gibt es keine Erklärung«, murmele ich leise.
Einige Minuten sitzen wir stumm nebeneinander. Sarah nimmt die anderen Bilder zur Hand und betrachtet sie recht lange. Schließlich ertrage ich die Stille nicht mehr.
»Ich wollte nicht, dass Josie dich so sieht«, erkläre ich vorsichtig.
»Danke«, erwidert sie leise und stößt dann ein bitteres Lachen aus. »Du scheinst mehr an Josie zu denken als ihr eigener Vater.«
Erneutes Schweigen.
Sarah starrt auf den Pazifik, schüttelt von Zeit zu Zeit den Kopf, befindet sich im stillen Disput mit sich
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