Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
Ich lege einen Finger vor meinen Mund und bedeutete ihr mit beschwichtigender Geste, Ruhe zu bewahren, doch Alberta ist in diesem Moment ohnehin sprachlos. Bevor sie die Möglichkeit hat, sich zu fassen und einem ihrer Temperamentsausbrüche zu verfallen, nehme ich sie bei den Schultern, drehe sie kurzerhand um und schiebe sie vor mir her, in Richtung der Küche.
Dort angekommen, schenke ich der benommenen Alberta ein Glas Wasser ein.
»Das ist er, Signore Todde. Das iste Daniele«, stammelt sie schockiert, ihren Blick noch immer fest auf das Bild geheftet.
»Ja, ich weiß. Und ich will auf keinen Fall, dass Sarah es so erfährt wie Sie gerade, Alberta. Das wäre ein Alptraum, und ich bin hier, um das zu verhindern. Die Zeitungen sind voll davon, und auch sonst wird überall darüber berichtet. Es ist genau der Skandal, auf den die Presse so lange gewartet hat.«
Alberta sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. Sie steht tatsächlich unter Schock. Schließlich schlägt sie die Hände vor dem Mund zusammen. »Mamma mia!«
Ich ringe um Fassung. Es ist schrecklich, Alberta so zu sehen – und sehr beängstigend. Denn wenn mir ihre Reaktion schon so nahegeht, wie soll ich Sarah dann erst auffangen? Für einige Sekunden bin ich der festen Überzeugung, der verkehrteste Mensch der Welt für diese Aufgabe zu sein. Dann besinne ich mich und fasse die rundliche Frau vor mir erneut bei den Schultern.
»Bitte Alberta! Helfen Sie mir, ihr das schonend beizubringen. Ich möchte Sarah mitnehmen, mit ihr aus der Stadt fahren und es ihr dann erst erzählen. Können Sie sich so lange um Josie kümmern? Sie sollte es nicht durch plappernde Spielkameraden oder deren Mütter erfahren. Und natürlich auf keinen Fall durch Zeitungsbilder, Radioberichte oder Fernsehreportagen. Am besten lassen Sie Josie heute zu Hause und spielen hier mit ihr.«
Alberta nickt. »Certo, certo.« Sie versteht den Druck, schnell handeln zu müssen, denn keiner von uns weiß, wie viel Zeit wir noch haben. Sarah hat das Schellen der Türklingel mit Sicherheit ebenfalls gehört und ist vielleicht schon auf dem Weg nach unten.
»Alora«, sagt Alberta und kämmt sich mit gespreizten Fingern die grauen Haare aus der Stirn. »Ische werde wohl am beste gehe und die arme Mädsche sage, dasse Sie sind ’ier, Signore Todde!«
»Ben! … Ich heiße Ben«, sage ich und strecke ihr meine Hand entgegen.
»Ben«, wiederholt Alberta und streicht mit ihrem Daumen über meine Finger, als wir uns die Hände geben.
Ich bleibe allein in der großen hellen Küche zurück. Nach einigen Sekunden in absoluter Stille fällt mein Blick auf die Titelseite der Zeitung. Ich reiße sie ab, falte sie zusammen und stecke sie zu dem ausgedruckten Artikel in die Gesäßtasche meiner Jeans.
Es vergehen keine drei Minuten, bis Sarah im Türrahmen erscheint.
»Sag mir, dass alles in Ordnung ist!«, fordert sie ohne jede Begrüßung und geht mit besorgter Miene auf mich zu. Das Surren der Sprechanlage muss sie wirklich geweckt haben, denn sie ist bereits angezogen und sogar schon dezent geschminkt. Das Haar trägt sie offen, ihre Augen scheinen – der frühen Uhrzeit zum Trotz – noch größer als sonst zu sein. Fragend sieht sie mich an, während ich ihr meinen Blick entziehe, meine Schuhspitzen betrachte und weiter schweige. Zu lange.
»Ben, was ist passiert?«
Verflucht!
Behutsam streiche ich über ihren Arm, beuge mich zu ihr herab und setze einen zaghaften Kuss auf ihre Wange. »Guten Morgen, Sarah. Ich bin gekommen, um dich zu entführen. Zieh dir doch eine Jacke über, draußen ist es ziemlich kühl. Ich … ähm … nehme dich ein Stück mit, okay?«
»Du nimmst mich ein Stück mit?«, wiederholt Sarah verständnislos. »Wohin denn?« Als ich ihr erneut meine Antwort schuldig bleibe und mich stattdessen nur unter ihrem eindringlichen Blick winde, wandelt sich dieser. Aus Skepsis wird blanke Sorge.
»Ben, bitte, du machst mir eine Höllenangst. Was ist los? Ist alles okay? Antworte doch!«
Unfähig, sie mit einem
›Ja‹
anzulügen, unwillig, nach einem
›Nein‹
bereits jetzt und hier beginnen zu müssen, kann ich mich einfach nicht zu einer Antwort durchringen, also wende ich mich ab und senke erneut meinen Kopf.
»Bitte!«, flüstere ich und hoffe inständig, dass sie keine weiteren Fragen stellt. Zumindest noch nicht jetzt.
Sarah seufzt, lässt hörbar die Arme fallen und dreht sich auf dem Absatz um. Im Eingangsbereich des Hauses streift sie sich eilig ihre
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