Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
seinen Bruder dann mehr oder weniger aus dem Zimmer.
»Du kannst wirklich stolz sein«, bemerkte Darius, der dem ungleichen Paar hinterhergesehen hatte und jetzt eine abgebrannte Kerze des Tischleuchters ersetzte. »Canon ist ein besonnener und fähiger junger Mann mit großem Weitblick.«
Morwena löste den Blick von der Tür und schüttelte lächelnd den Kopf. »Ja, das ist er. Aber wie betont du das sagst. Du kennst Derea wirklich nicht.«
»Ich kann nur nicht verstehen, warum du ihn Canon so offen vorziehst«, brauste er auf. »Du hast heute pausenlos zur Tür gesehen, in der Hoffnung, dein kleiner Liebling käme herein. Alles andere war dir gleichgültig.«
Morwena spielte mit einem Armband aus Holzperlen, das Canon und Derea ihr als Kinder gebastelt hatten und das sie seither jeden Tag trug, und erwiderte: »Du hast nur zur Hälfte recht, mein Freund. Ich war müde von all den Schlachten, hätte diesen Tag lieber nur mit meinen Liebsten gefeiert und wollte eine größere Feier absagen. Canon hat mich davon überzeugt, wie wichtig es für die Krieger und das Volk ist, Stärke zu vermitteln. Er hat mir erläutert, dass Feste in Kriegszeiten die Moral der eigenen Truppen stärken und die des Feindes untergraben. Er hat deshalb dafür gesorgt, dass die Botschaft von dem fröhlichen Fest weit verbreitet wurde. Canon ist nicht nur in der Schlacht ein kühler und guter Stratege, er plant immer für die Zukunft. Daher ist er mein Statthalter, wann immer ich fort bin, und ich habe ihn längst öffentlich zu meinem Nachfolger bestellt. Er ist mir Halt und Stütze, besitzt mein Vertrauen und meine tiefe Liebe.«
Ihr Blick wurde weich, ihr Lächeln sanfter. »Derea ist mein Sonnenschein. Er ist so voller Lebensmut und bringt mich selbst in diesen schweren Zeiten immer wieder zum Lachen. Mach nicht auch du den Fehler, ihn nach seinem Äußeren zu beurteilen! Derea hat sich durch Kindheit und Jugend prügeln müssen, weil Jungen in seinem Alter sich dumme Bemerkungen nicht verkneifen konnten und ihn nie ernst nehmen wollten. Du würdest sicherlich auch hin und wieder über die Stränge schlagen, wenn Fremde dich verächtlich behandelten, nur weil du ein so schönes und bartloses Gesicht hast. Weißt du was, Darius? Ich glaube, du willst ihn einfach nicht mögen. Du bist eifersüchtig auf ihn, und es ärgert dich, dass ihm sofort aufgefallen ist, dass ich meine Haare anders trage, und dir nicht.«
Hell lachte sie auf, als sie Darius’ betroffenes Gesicht sah.
Der schnaubte zwar, musste sich aber eingestehen, dass sie nicht unrecht hatte. Es gab einen ganz bestimmten Glanz in Morwenas Augen, der allein Derea vorbehalten schien. Doch während der das offensichtlich nicht einmal bemerkte, hätte er selbst alles dafür gegeben, nur einmal Empfänger eines solchen Blickes zu sein. Den ganzen Tag lang hatte er auch gedacht, dass sie heute besonders hübsch aussah. Dass sie eine andere Frisur trug, war ihm nicht aufgefallen. Er ergriff daher ihre Hände und lenkte ein. »Ich will dich nicht verärgern, Morwena. Ich weiß längst, dass er deinem Herzen am nächsten steht, und natürlich bin ich deswegen eifersüchtig, und du wärst enttäuscht, wenn es nicht so wäre.«
Eine weitere Kerze erlosch. Das Zimmer lag fast im Dunkeln.
Sie erwiderte zunächst den Druck seiner Hände, dann seufzte sie unglücklich. »Wenn andere Zeiten wären, hätten wir Zeit für uns und unser spätes Glück, aber so musst du weiterhin für Latohor da sein, und ich gehöre El’Maran. Fünfundzwanzig Jahre Krieg, fünfundzwanzig Jahre Tod! Ich frage mich immer häufiger: wofür? Derea war gerade dreizehn, als er das erste Mal neben mir in die Schlacht ritt und abends nicht in den Schlaf kam, weil er zu viele Menschen hatte sterben sehen. Seit zehn Jahren kennt er nur Kampf, Leid und Zerstörung und kann seit langem auf jedem blutgetränkten Schlachtfeld schlafen. Canon sollte längst verbunden sein. Seine Jugendliebe starb nach einer Schlacht in seinen Armen, und er fand noch nicht einmal die Zeit, um sie zu trauern. Deine Tochter Marga sollte schöne Kleider tragen und ihre Kinder hüten. Stattdessen reitet sie von dem einen Schlachtfeld zum anderen. Sieh in die Augen unserer Kinder! Was siehst du in ihnen? Feuer und Tod, Schmerz und Elend! Das freie und schöne Leben, das wir aus unserer Jugend kennen, haben sie nie kennenlernen dürfen. Sie wissen nicht einmal, wofür sie kämpfen und vielleicht sterben. Was verlangen wir nur von ihnen? Und
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