Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
Raum. »Verzeiht die Störung, meine Königin, aber es ist ein Botenvogel aus Kambala eingetroffen. Ihr wünschtet, sofort unterrichtet zu werden. Soll ich die Nachricht verlesen?«
Morwena hätte am liebsten geschrien, denn nichts wollte sie weniger, als jetzt an die Welt außerhalb dieses Zimmers denken zu müssen, aber sie nickte selbstverständlich.
Kurze Zeit später kannten sie die Wahrheit: Fürst Marcos hatte die Stadt ohne Widerstand an den Schwarzen Fürsten übergeben. Die Krieger Kambalas, die bisher den Freien Reichen ergeben gewesen waren, hatten am Tag darauf fast sämtlich einen Treueeid auf den Schwarzen Fürsten geleistet. Die wenigen, die sich standhaft geweigert hatten, waren zur Läuterung in das berüchtigte Lager von Amansdier verbracht worden. Läuterung bedeutete Schwerstarbeit im Steinbruch – in Ketten, unter gnadenlos sengender Sonne und den Peitschen der für ihre Grausamkeit bekannten Wärter. Zurückkehren würde keiner von ihnen. Bei dieser Aussicht konnte den Männern, die sich Camora unterworfen hatten, kein ernsthafter Vorwurf gemacht werden.
Die beiläufige Erwähnung, der Schwarze Fürst hätte die Stadt seinen Kriegern überlassen, trieb Canon die Zornesröte ins Gesicht. Er wartete gerade noch, bis sich die Tür hinter dem Kundschafter geschlossen hatte, bevor er die Faust auf die Stuhllehne donnerte, dass es knackte. »Als wären die Schlachten nicht grausam genug! Wie kann man eine Stadt, die sich ergeben hat, noch schleifen lassen? Bevor man Camora in der Stadt hat, wünscht man sich eher die Pestilenz. Unter ihm verkommen selbst Krieger und Generäle, die einmal an Ehre und Anstand geglaubt haben. Doch letztlich bringt ihn auch seine Gewissenlosigkeit so gut voran. Die Furcht eilt ihm voraus und schlägt selbst Tapfere in die Flucht. ... Wobei ich nicht sagen will, dass Marcos jemals tapfer war. Nicht umsonst gehörte er nie dem Rat der Freien Reiche an. Jetzt hat dieser schwarze Bastard also endlich seinen Stützpunkt, und damit ist der Weg nach El’Maran frei. Unsere Grenzstadt Ten’Shur wird sich erneut auf einen Krieg einstellen müssen.«
»Sie hat schon einmal standgehalten«, erklärte Morwena und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. »Canon, du wirst dich schnellstens um die Verstärkung der Ostverbände kümmern. Suche Fürst Menides auf! Er hat uns Unterstützung durch seine Bogenschützen zugesagt. Wir ...«
»Halt, halt, halt!«, unterbrach Derea ihre Ausführungen. Seine Müdigkeit war zumindest für den Augenblick wie weggeblasen. »Das sollten wir überdenken, denn ich habe ebenfalls schlechte Neuigkeiten, die ich mir eigentlich für morgen aufheben wollte. Meine Verspätung habe ich nämlich einem Hordentrupp zu verdanken, der auf dem Weg zum Varna-Fluss war. Camora lässt auf diesem große Verbände Richtung Westen verschiffen.«
Die Hand der Königin verharrte über der Tischplatte, als sei sie eingefroren. »Was sagst du? Er bringt Truppen über den Fluss?«
»Rai Listrus’ Berichten zufolge große Truppenverbände ... und schon seit geraumer Zeit!«
Canon erhob sich sofort, holte eine grob gezeichnete Gebietskarte aus einer Truhe und breitete sie auf dem Tisch aus. Alle vier beugten sich darüber.
»Er kann sie hier im Varna-Becken sammeln«, erklärte Darius und tippte mit dem Finger auf ein Gebiet. »Von dort aus müsste er durch ausgedehnte Nord-West-Provinzen, um El’Maran anzugreifen. Warum sollte er das tun, gerade jetzt, da er endlich in Kambala sitzt?«
Morwena und Derea zuckten ratlos die Achseln, während Canon unverwandt auf die Karte starrte. »Und wenn er sie gar nicht im Varna-Becken sammelt, wenn er sie noch weiter verschifft?«
»Dann erreicht er das Westgebirge«, antwortete Darius und beugte sich wieder über die Karte. Sein Finger fuhr darüber. »Sie könnten bis nahe der Flussquelle reisen und dann durch einen Gebirgspass den Westen El’Marans erreichen. Innerhalb weniger Tage stünden sie vor den Toren Mar’Elchs.« Er sah zu Canon hoch und zog endlich seinen Überrock aus. Jetzt war ihm einfach zu heiß, und es war ihm gleichgültig, wie albern er wirkte. »War das deine Überlegung?«
Der nickte. »Nichts anderes ergibt Sinn, oder? Die Provinzen sind weitläufig, arm und dünn besiedelt. Um sie einzunehmen, benötigt man keine Armee. Um sie zu durchqueren, benötigt ein Heer aber Unmengen an Verpflegung. Außerdem wären wir so schnell über ihr Kommen unterrichtet, dass wir unsere Heere sammeln
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