Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
könnten. Nein, dieser Plan wäre hirnrissig, und dämlich ist Camora nicht. Er kann nur durchs Gebirge wollen.«
Eine Weile war es totenstill. Die Kerzen in den Wandhalterungen waren heruntergebrannt und nicht erneuert worden. Nur noch der Tisch mit der Karte wurde von Kerzen beleuchtet. Auch der Wein fand längst keine Beachtung mehr. Nicht einmal Darius dürstete es noch. Freudenfeuer und Feierlichkeiten schienen Urzeiten her zu sein.
Als wenn sie es nicht wahr haben wollte, glitt Morwenas Blick zum Fenster, doch dort sah sie nur noch Schwärze. Ernüchtert räusperte sie sich und ergriff das Wort: »Aber warum sollte er den beschwerlichen Weg über den Fluss und dann durch die Berge nehmen, wenn der Weg vom Nordosten her endlich frei ist?«, gab sie zu bedenken.
Doch bevor noch jemand etwas dazu sagen konnte, fiel ihr die Antwort selbst ein. »Weil er davon ausgeht, dass wir jetzt den Osten verstärken, was wir ja auch getan hätten. Während wir unsere Truppen dort sammeln, kommt er durch die Hintertür und greift unsere Reichsstadt an.« Sie sah ihren jüngeren Ziehsohn an. »Bei allen Göttern, Derea, kannst du ermessen, wie unsagbar wertvoll deine Nachricht ist?«
Der hatte immer mehr Mühe, sich zu konzentrieren, und nickte schwach. »Leider bringt sie uns nur bedingt weiter. Camora wird auf Ten’Shur marschieren, um abzulenken und unsere Truppen zu binden. Findet er eine unbefestigte Stadt vor, wird er sie in Schutt und Asche legen und Richtung Mar’Elch weiterziehen. So wäre ihm der Erfolg in jedem Fall gewiss. Gleichgültig, ob wir seine Pläne kennen oder nicht, wir werden unweigerlich an zwei Fronten kämpfen müssen. Und das wird eng. Seine Truppen sind bereits auf dem Weg, und uns gehen allmählich die Krieger aus.«
Darius stimmte ihm umgehend zu: »Damit hat er recht, Morwena. Camoras Armee ist gewaltig und wird im Gegensatz zu unserer von Feldzug zu Feldzug größer. Er kann es sich längst leisten, seine Nadelstichtaktik an unseren Grenzen zu erweitern, ohne dass seine Hauptheere schrumpfen. Du demgegenüber kannst deine Grenztruppen nicht abziehen und bist auch noch gezwungen, dein übriges Heer aufzuteilen. Ich kann dir jeweils eine Reitertruppe für den Osten und den Westen abstellen. Unsere Fußtruppen werden kaum schnell genug sein, und meine übrige Reiterei muss Latohors Grenzen sichern. Wir befinden uns in einer sehr, sehr ernsten Lage. El’Maran, als größtes Reich der Union, gilt als uneinnehmbares Bollwerk gegen die Horden. Fällt es, ist das der Anfang vom Ende.«
Morwena, Nachfahrin eines Geschlechts, das nur unwesentlich jünger war als das der da’Kandar, saß kerzengerade auf ihrem Stuhl und strahlte Stolz und Würde aus, als sie mit fester Stimme erklärte: »Es wird nicht fallen. Mag es Zufall gewesen sein oder der Wille der Götter ... wir sind nunmehr vorbereitet. Die Horden kennen das Westgebirge nicht, aber meine Bergjäger sind dort zu Hause, und sie verstehen sich darauf, ihre Heimat zu schützen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.« Ihre Augen blitzten. »Kein Hordenreiter wird jemals das Gebirge überqueren, solange ich Königin bin.«
Canon schaute bereits wieder auf die Karte und fuhr mit dem Finger auf ihr herum. Als er das Wort ergriff, klang er, als überlege er und spräche dabei zu sich selbst. »Den Nordpass können sie nicht nehmen, der ist für Wagen und Geschütze zu steil und zu eng. Der Wendenpass wäre wegen seiner Breite am besten geeignet, aber um hinzugelangen, müssten sie zuvor tief ins Moor. Das werden sie vermutlich nicht wagen. Sie werden den Roten Pass zwischen den beiden anderen wählen. Wie eine tiefe Wunde durchschneidet er das Gebirge. Es müssen keine größeren Höhen überwunden werden, und er ist breit genug für Trosswagen und Katapulte.«
»Das denke ich auch«, stimmte Morwena zu und spürte plötzlich eine Aufregung, die Vorfreude nahekam. »Ich kenne den Pass. Ein gutes Gebiet für eine Schlacht ... aber nur für den, der zuerst dort ist! Sind wir schnell genug, wird Camora bald um eine Armee ärmer sein.«
Derea sah sie an und konnte, wie so oft, kaum glauben, dass dieselbe Frau, die für ihn Veilchenwurzeln gesucht hatte, wenn er einen Zahn bekommen hatte, die ihm in seiner Jugend nächtelang erklärt hatte, dass nur Taten einen Mann auszeichneten und nicht Bärte oder breite Schultern, die so liebevoll und mitfühlend war, wie es nur Mütter sein konnten, gerade mit einem Lächeln den Tod von Tausenden beschlossen
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