Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
bestimmt schon ’ne Menge im Kopf. Ich meine, er ist schließlich so alt wie mein Großvater.«
Marga nickte, konnte aber ihr ungutes Gefühl trotzdem nicht verdrängen. Sie hasste es, wenn so viel auf dem Spiel stand und sie nicht das Geringste tun konnte, um den Lauf der Dinge in irgendeiner Hinsicht zu beeinflussen.
Der aufgeregte Medizinmann hatte sich nunmehr wieder den Echsen zugewandt, zeterte laut und ruderte dabei mit den Armen. Doch deren Aufmerksamkeit schien zu schwinden. Offensichtlich vertrauten sie auf die Beschlüsse ihres Oberhauptes und entfernten sich nach und nach.
Meister Cato drehte sich auch endlich zu seinen Begleitern um und lächelte beruhigend. »Seid unbesorgt, Marga! Wenn dem Jäger noch zu helfen ist, wird Gideon es schon richten. Nicht immer kommt es bei der Bewältigung von Aufgaben auf die Anzahl der Jahre an, die man gelebt hat. Ich selbst würde mich in solchen Dingen immer lieber auf ihn als auf mich verlassen. Er hat wesentlich geschicktere Hände.« Sein Lächeln bekam einen kläglichen Zug. »Wir alle wissen aber auch, dass hin und wieder jede Hilfe zu spät kommt. Hoffen wir, dass dies bei dem bedauernswerten Jäger nicht der Fall ist. Der Dorfälteste will sich jetzt mit mir unterhalten. In den letzten Jahren häufen sich hier ungewöhnliche Naturereignisse. Teile des Sumpfes sind ausgetrocknet, Seuchen breiten sich vermehrt aus, und Missbildungen unter Neugeborenen häufen sich. Ich habe ihm vom Krieg erzählt, und darin sieht er nun die Ursache für ihre Plagen.« Auf ihren verständnislosen Blick hin ergänzte er lächelnd: »Seht, Marga, für die Echsen ist Luft nicht einfach Luft, und Wasser nicht einfach Wasser. Für sie sind es Geister, denen sie Opfer bringen. Wenn die Luft, die sie mit uns teilen müssen, durch Krieg verpestet wird, müssen auch sie darunter leiden. Krieg zerstört das Gleichgewicht der Natur und erzürnt so die Geister.« Er warf dem großen Echsenmann einen kurzen Blick zu und fuhr fort: »Ich darf ihn nicht länger warten lassen. Setzt Euch einstweilen, esst und trinkt und vertraut auf meinen Schüler. Man wird Euch Rasbeerensaft anbieten. Er ist grün, trüb und ausgesprochen herb, löscht aber hervorragend den Durst. Fleischgerichte werden hier ausschließlich, aber reichlich mit der Sumpfknolle, einer sehr scharfen Zwiebelart, gewürzt. Man hat mir versichert, dass wir keinen Artgenossen vorgesetzt bekommen, sondern eine seltene Delikatesse: Riesenschildkröte!« Er zwinkerte und drückte Marga noch einmal beruhigend beide Hände. »Solltet Ihr noch Fragen haben, stellt sie jetzt. Ein Gespräch mit dem Ältesten darf nicht unterbrochen werden. Diese Unhöflichkeit könnte einen hier schnell das Leben kosten.«
»Ich hätte eine Menge Fragen«, erwiderte sie nüchtern. »Aber sie sind nicht drängend.«
Obwohl die meisten Kalla sich bereits zurückgezogen hatten und andere sie jetzt bewirteten, wollte sich bei ihr keine Entspannung einstellen, was zum einen daran lag, dass sie nichts von dem verstand, was um sie herum gesprochen wurde, zum anderen daran, dass sie nicht wusste, was in der Medizinhütte vor sich ging.
Der Saft, den man ihnen reichte, war tatsächlich erfrischend, und Marga fand ihn auch recht wohlschmeckend. Das Schildkrötenfleisch war demgegenüber unangenehm weich und so scharf, dass sie immer wieder nach Luft schnappen musste. Der Brei drum herum schmeckte nur schleimig, aber tapfer würgte sie die ungewohnte Kost hinunter. Auch ihre Krieger leerten höflich ihre Schüsseln, lehnten einen angebotenen Nachschlag jedoch ab.
Meister Cato unterhielt sich derweil angeregt mit dem Ältesten, und in der Medizinhütte herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Je mehr Zeit verstrich, desto häufiger fragte sich die Hauptmännin, ob sie das als gutes oder schlechtes Zeichen deuten sollte. Um sich abzulenken, ließ sie ihre Blicke schweifen. Die kleinen Inseln waren allesamt bevölkert. Überall saßen große und kleine Kalla um ihre Kessel herum und aßen. Die Jüngsten tapsten herum, schlugen Purzelbäume oder spielten mit geschnitztem Rohr. Auf einigen Inseln ging es ruhig zu, von anderen her klang es, als ob gestritten würde. Marga musste unwillkürlich lächeln. Ähnlichkeiten zu einem Menschendorf waren nicht zu leugnen, nur dass sie hier beim besten Willen nicht erkennen konnte, wer Frau und wer Mann war.
Endlich erschien Gideon wieder. Er erstattete zunächst dem Dorfältesten Bericht, kam dann zu seinen
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