Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
übrig, als zu reifen und zu hoffen, dass die Reife nicht in Fäulnis endete.
Eine Weile starrte sie mit leerem Blick vor sich hin, dann erhob sie sich gähnend, stellte ihre Schale ans Feuer und bereitete sich ganz allein aus Felldecken ihr Lager. Dabei stellte sie fest, dass ein Fingernagel abgerissen war und nun richtig hässlich aussah, so wie abgeknabbert. Sie hasste diese gefährliche und ungemütliche Welt außerhalb der Nebelinsel und brach in Tränen aus.
Etliche Zeit später, nachdem die letzten Tränen längst versiegt waren, kam Gideon zurück, kramte seinen Medizinbeutel aus dem Wandersack und steckte einen Dolch ins Feuer.
Caitlin, die sich in Felle gekuschelt hatte, sah ihm verwirrt zu.
Bevor sie aber etwas fragen konnte, kam der Verianer ihr zuvor. »Gut, dass Ihr noch nicht schlaft. Ihr seid doch eine Magierin und versteht Euch sicher auf die Heilkunst. Der Prinz hat eine Pfeilspitze im Bein. Könntet Ihr mir beim Entfernen zur Hand gehen?«
»Ich?« Schrill lachte sie auf. »Niemals!«
Er hatte mit nichts anderem gerechnet, sogar den Tonfall hatte er vorhergesehen. »Bitte, Prinzessin! Ich kann die Spitze nicht ertasten und kann doch nicht das halbe Bein aufschneiden, um sie zu suchen. Ihr könntet sie gewiss spüren. Versucht es zumindest! Es ist wichtig für uns alle. Bitte, gebt Euch einen Ruck!«
Die Prinzessin senkte den Blick und erklärte: »Selbst wenn ich wollte, könnte ich Euch nicht helfen, ich kann nämlich kein Blut sehen. Mir wird dann immer schlecht.«
»Es ist ja gar kein Blut da«, gab Gideon zurück. »Ihr braucht also gar keine Angst zu haben. Ich weiß, Ihr mögt ihn nicht, aber Ihr wollt doch sicher auch nicht, dass er Euretwegen unnötige Schmerzen hat.«
»Warum sollte mich das kümmern? Mein verstauchter Knöchel war ihm doch auch gleichgültig«, gab sie zurück.
Der Verianer betrachtete ihr trotziges und unglaublich junges Gesicht und verzichtete auf jede vernünftige Argumentation. »Ja, er ist wirklich unfreundlich und ungehobelt, aber er verfügt auch nicht über Eure königliche Erziehung. Die hörte bei ihm ja schon im achten Lebensjahr auf. Seitdem lebte er ... irgendwo. Sein Gossengebaren werden wir ihm schon abgewöhnen. Ihr könntet damit den Anfang machen und ihm jetzt zum Beispiel zeigen, wie überlegen Eure vornehme Denkweise ist. Gerade weil er mir bereits versichert hat, dass Ihr nie zur Hilfe bereit wärt, würde er wohl ins Grübeln kommen.« Er kam sich selbst ein wenig schäbig vor, weil er gelogen hatte, aber es wirkte.
Caitlin dachte nach, erfreute sich an dem Gedanken, dass dieser unverschämte Kerl sich gleich bei ihr bedanken musste, nickte und erhob sich ausgesprochen würdevoll. »Ist das Bein bedeckt?«
»Was? Nein, natürlich nicht!«
»Dann müsst Ihr mich führen: Ich bin Priesterin und werde in diesem Fall selbstverständlich die Augen schließen. Ich benötige schließlich nur meine Hände.«
»Wunderbar!«, jubelte Gideon und rollte mit den Augen.
Rhonan hatte zwar kein Wort darüber verloren, hätte aber tatsächlich nie geglaubt, dass der Verianer die Hexe zur Mithilfe würde überreden können, und fragte sich, wie der Gelehrte das wohl angestellt hatte. Dann blinzelte er ungläubig. Hatte sie wirklich die Augen geschlossen? Dieses seltsame Mädchen war in der Tat kaum zu überbieten.
Gideon warf ihm nur einen beredten Blick zu, zuckte die Achseln und half Caitlin, sich hinzuknien.
Rhonan schob sich wieder seinen Gürtel zwischen die Zähne, denn es hatte höllisch weh getan, als Gideon das ohnehin schmerzende Bein abgetastet hatte.
Caitlin hielt ihre Hände mit gespreizten Fingern vor sich, verharrte und hoffte, keinem würde auffallen, dass einer ihrer Nägel kürzer war.
»Das Bein liegt auf dem Boden direkt vor Euch.« Gideon wartete, nahm schließlich die Hände und legte sie entschlossen oberhalb des Knies auf eine gezackte Narbe. »Hier irgendwo muss der Übeltäter sein. Gebt Euer Bestes! Ich bin sofort zurück.« Bei diesen Worten erhob er sich wieder, um das Messer zu holen.
Federleicht glitten ihre Hände über Knie und Oberschenkel. Der Prinz entspannte sich ein wenig und nahm den Gürtel aus dem Mund. Sie dagegen stöhnte plötzlich auf. »Oh, wie furchtbar! Ich spüre Hitze und Schmerzen.«
»Welch umwerfende Erkenntnis«, murmelte Rhonan.
»Seid einfach still!«, forderte Gideon, der schon wieder hinter ihr stand, den glühenden Dolch in der Hand. »Weiter, Prinzessin! Oh, bitte nicht aufhören!
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