Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
Nahrung hin und wieder, kurze Besuche in Kairan, um Branntwein zu erstehen – mehr benötigte er nicht. Sein Blick glitt durch die Höhle und fand keinen Beutel. Aber zumindest Hose und Stiefel hatte der Gelehrte ihm dagelassen. Unter leisem Ächzen zog er beides an und band auch zwei Schnüre an seinem Hemd zu, für den Fall, dass die Nebelhexe schon wach war. Inständig hoffte er allerdings, seine Begleiter würden noch schlafen.
Der Wunsch wurde nur zur Hälfte erfüllt, denn Gideon saß bereits am Feuer und schüttelte auch prompt den Kopf bei Rhonans Erscheinen. »Du solltest doch heute liegen bleiben. Die Wunde benötigt Ruhe. Wie geht es dir?«
»Ich fing schon an zu dampfen, aber sonst geht’s gut«, erwiderte Rhonan, ließ sich neben dem Feuer nieder und griff nach seinem Beutel.
Die Hand des Gelehrten kam ihm zuvor und zog das begehrte Stück außer Reichweite. »Du solltest auf Wasser umsteigen, denn in nächster Zeit wirst du sowohl eine sichere Hand als auch einen klaren Kopf benötigen!«
Ein klarer Kopf erschien ihm nun überhaupt nicht erstrebenswert, denn Erinnerungen, die im Nebel steckten, blieben dankenswerterweise blass. »Meine Hand ist immer sicher«, erwiderte er daher knapp.
»Das beruhigt mich nur bedingt. Vor uns liegt immerhin das Wintergebirge. Dir wird der Branntwein in diesen Weiten schnell ausgehen. Gewöhne dich besser gleich an einen nüchternen Zustand, denn in der Wildnis könnten deine Entzugserscheinungen uns allen den Tod bringen. Du bist unser Kämpfer, und wir sind auf deinen Schutz angewiesen.«
Und der Tag hatte so vielversprechend begonnen! Wenn Rhonan am Alleinsein etwas schätzte, dann das Fehlen von Ratschlägen, Vorwürfen und Forderungen. »Ich bringe euch zum Gebirge, dann mache ich mich wieder auf den Weg zurück in die Stadt, und da gibt es kaum Engpässe, was Branntwein betrifft. Davon, dass ich euch weiterhin begleite, war nie die Rede. Ich tauge nicht für Reisegruppen. Wenn du einen Rat willst: Meide das Wintergebirge! Zu viele Gefahren lauern dort. Ich bring euch auch nach Kairan zurück, solltest du zur Vernunft kommen. Und jetzt gib mir den Beutel!«
Der Gelehrte beachtete die ausgestreckte Hand nicht. »Deine Pläne musst du ändern. Es ist an der Zeit für dich, die Freien Reiche in den Kampf gegen den Mörder und Thronräuber Camora zu führen.«
Das Gesicht seines Gegenübers blieb unbewegt, bis auf eine Braue, die spöttisch gehoben wurde. »Oh! Ich soll also nicht nur dich und diese jammernde Nebelhexe durch ein Gebirge schleppen, das ihr nicht bewältigen könnt, und euch nebenher vor Wölfen und anderen Gefahren beschützen, ich soll hinterher auch noch die Freien Reiche anführen. Hast du dir etwas vom Branntwein genehmigt?«
»Wenn ich dich so höre, wünschte ich fast, es wäre so. Aber leider steht es so geschrieben. Sag nicht, du hättest noch nichts von der Prophezeiung gehört!«
»Wer hat nicht von ihr gehört. Sie wird bejubelt, als würde sie das Ende des Krieges bedeuten. So ein Unsinn. Ich habe sie als das abgetan, was sie sein muss: das Gekritzel eines Schwachsinnigen oder Scherzbolds! Drei Menschen gegen eine Armee ... da wüsste ich aber, auf wen ich setze.«
»Tatsächlich? Ich wüsste es nicht. Die Gelehrten aller Reiche sind sich einig: Caitlin ist eine Erbin der Macht, und du bist der Erbe der Kraft. Du bist der Mann, der den Krieg beenden kann.«
»Dann bist du der Erbe des Wissens?«
»Nein! Meine Aufgabe ist lediglich, Euch auf den rechten Weg zu führen.«
Das ernste Gesicht ließ Rhonan den Blick senken. Die Haare an seinen Armen stellten sich auf, und ein Durcheinander von Gefühlen stieg in ihm hoch. Unglaube, Widerwille und ein Gefühl, das lang nicht mehr verspürter Angst gefährlich nahekam, schienen seine Gedanken zu verknoten.
Der Verianer fuhr fort: »Die Menschen warten auf dich, und du musst dein Versteck verlassen und dich der Verantwortung stellen. Oder sollte ich besser sagen, du darfst dein Versteck endlich verlassen? Ewige Flucht kann nicht das Leben sein, das du für alle Zeiten führen willst.«
Absteigen, Gossen und finstere Spelunken huschten am geistigen Auge des Prinzen vorbei. Hier und da ein kleines Scharmützel mit Feinden, hier und da eine Nacht in den Armen eines Talermädchens. Es war vielleicht kein Leben, das gehobenen Ansprüchen gerecht wurde, doch es war sein Leben, und wenn er denn schon leben musste, dann so: fernab von fordernden Menschen, Zwängen und Verantwortung! Viele
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