Neobooks - Erotische Frühlingsträume
führte eine schmale Stiege in das Obergeschoss.
Es roch eigenartig. Eine Mischung aus Rosen-Duftöl und Tapetenkleister. Räucherstäbchen …
Wieder spielte Anna mit dem Gedanken, sich aus dem Staub zu machen. Wieder widerstand sie in letzter Sekunde und blieb in dem schmalen Gang stehen.
Aus dem Raum vor ihr drang Musik. Ein Tango. Sie wusste nicht viel über Standardtänze, doch einen Tango erkannte selbst sie.
Anna fasste sich ein Herz und klopfte an. Sofort flog die Tür auf; Anna zuckte zusammen.
»Kommen Sie, kommen Sie.« Eine rothaarige Dame mittleren Alters, deren extravagante Kleidung Anna sofort ins Auge stach, winkte sie herein.
Die Dame warf einen lilafarbenen Seidenschal über ihre Schulter zurück, begrüßte Anna mit polnischem Akzent, stellte sich sehr knapp als Madame Jankolini vor und ließ ihren strengen Blick dabei nicht für eine Sekunde von dem tanzenden Paar.
Anna konnte nicht anders, sie verspürte Respekt. Madame Jankolini war eine dieser Personen, die einem Ehrfurcht einflößten – durch ihre bloße Erscheinung.
Das junge Paar vor ihnen schritt mit stolz erhobenen Köpfen über die Tanzfläche, in einem ständigen Wechsel aus fließender Eleganz und ruckartigen Bewegungen. Anna bemerkte fasziniert wie … erotisch sie diesen Tanz fand.
Die Madame mit dem unnatürlich roten Haar, das zu einer Art Vogelnest auf ihrem Kopf drapiert war, stand neben ihr und schlug mit einem Stock auf den Parkettboden, genau im Takt der Musik. Die Konzentration und Anspannung sah man ihr deutlich an.
»Gut … Gut … Achtet auf den Abstand.« Madame Jankolini wirkte zufrieden und formte gerade den Ansatz eines Lächelns, als die junge Frau bei einer der schnelleren Schrittfolgen über ihre Füße stolperte, so dass der Mann sie auffangen musste.
RUMMS !
Der Stock knallte so laut auf den Boden, dass der Hall die Musik übertönte.
»Nein!«, schrie Madame Jankolini. »Darf ich euch erinnern, dass ihr es wart, die mich gebeten haben, den Tango vorzuziehen? Es hat einen Grund, dass er der letzte Tanz ist, den ich unterrichte.«
Die junge Frau sah beschämt auf ihre Füße, denen sie die nun folgende Standpauke zu verdanken hatte. Madame Jankolini ging auf das Paar zu. Ihre Stimme bekam einen beschwörerischen Klang, als sie fortfuhr: »Das Wort
Tango
leitet sich vom lateinischen Wort
tangere
ab. Berühren. Der Tanz begann als pantomimische Kommunikation zwischen einer Prostituierten und ihrem Freier. Die Bewegungen sind ein Ausdruck starker, widersprüchlicher Gefühle. Anzüglich reicht nicht. Wir sprechen hier über vertikalen Sex, versteht ihr das?«
Annas Kehle fühlte sich plötzlich trocken an. Dem jungen Paar schien es nicht anders zu gehen. Regungslos standen sie da.
»Habt ihr verstanden?«, fragte Madame Jankolini nachdrücklich. Als hätte sie einen Schalter in ihnen betätigt, nickten beide Tänzer hastig.
»Gut. Ich bin sofort wieder da. Wenn die Musik endet, bevor ich zurück bin, dann geht die Drehung, die ich euch vorhin gezeigt habe, noch einmal trocken durch.«
Mit diesen Worten wandte sie sich wieder Anna zu, die der Rothaarigen nun zum ersten Mal bewusst ins Gesicht sah – und erschrak.
Ohne Zweifel war Madame Jankolini wesentlich älter, als ihre Erscheinung es auf den ersten Blick vermuten ließ. Das regelrecht aufgespachtelte Make-up sprach Bände. Es verdeckte Falten und Krähenfüße. Anna fragte sich, wie ein Leben ausgesehen hatte, von dem ein solches Gesicht erzählte.
Madame Jankolini ließ sie nicht lange grübeln, sie unterbrach Annas Gedanken mit ihrer schrillen Stimme.
»Die Wohnung, richtig? Oder willst du Tanzunterricht nehmen, mein Kind?«
»Nein, keinen Unterricht … die Wohnung, genau«, stammelte Anna und fühlte sich dabei wie eine schüchterne Erstklässlerin.
»Gut. Kommen Sie, kommen Sie!«
Madame Jankolini humpelte vorweg, und Anna wunderte sich.
Gerade eben, in diesem Tanzraum, der mit seiner hohen Decke, dem edlen Parkettboden und den verspiegelten Wänden so gar nicht zu dem Rest dieses Hauses passen wollte, hatte Madame Jankolini noch anmutig und gebieterisch gewirkt.
Nun, gestützt auf ihren Gehstock, war sie eine gewöhnliche Frau im fortgeschrittenen Alter, die sich zufällig wie ein Paradiesvogel kleidete.
In der Sekunde, als sie die Schwelle zu dem schäbigen Korridor mit der vergilbten Raufasertapete überschritt, fiel der Glanz von ihr ab.
Wackelig tapste sie zu einem Schlüsselkasten.
»Nanu … Wo ist denn … Oh!
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