Neonazis in Nadelstreifen
Unter Tatverdacht steht der 19 -jährige Wohnungsinhaber, gegen den W. vor Gericht aussagen sollte. Das Opfer habe nach »Spiegel«-Recherchen »panische Angst« vor dem Neonazi gehabt, der es bereits häufiger attackiert hätte. Damit sprechen Opfergruppen bundesweit von 141 Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung.
Die Zahlen rechtsextremistischer Straftaten steigen seit Jahren an. Wie aus dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 15 . Mai 2007 hervorgeht, erhöhte sich die Zahl politisch rechts motivierter Delikte im Vorjahr um 15 Prozent auf 18 142 . Die Zahl der Gewaltdelikte stieg um 9 , 3 Prozent auf 1115 Fälle. Die steigenden Opferzahlen sind ein Beleg für die zunehmende Brutalität der Szene. Opferberatungsstellen gehen zudem von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus. Viele Straftaten würden mangels Anzeige gar nicht erst in die Statistiken einfließen. Besonders Angehörige der alternativen Szene und Migranten erstatten angesichts der in einigen Regionen als Allag empfundenen Bedrohungen und Diskriminierungen selten Strafanzeigen. Viele Opfer haben einfach nur Angst.
Für 2008 registrierte die Polizei nach Angaben der Bundesregierung im ersten Halbjahr insgesamt 10655 Delikte von rechts, davon 612 Gewalttaten. Angeführt wird die Gewaltskala von Nordrhein-Westfalen ( 94 ), gefolgt von Sachsen ( 70 ) und Berlin ( 61 ).
Dabei greifen rechte Gewalttäter zunehmend Deutsche an, stellte ein Sprecher der »Stiftung contra Rechtsextremisten und Gewalt« des Deutschen Anwaltsverein 2008 anhand eingereichter Anträge fest. Im Jahr 2006 waren 21,6 Prozent der Opfer Deutsche, im laufenden Jahr sind fast 57 Prozent der Opfer rechtsextremer Gewalt Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Auch der Anteil weiblicher Opfer stieg von 8,1 Prozent auf 23,3 Prozent. »Dass vermehrt Frauen angegriffen werden, zeugt von einer gestiegenen Hemmungslosigkeit der Rechtsextremisten«, sagt Micha Guttmann von der Stiftung des Deutschen Anwaltsvereines. Vor allem nichtrechte Jugendliche wie Hiphopper geraten nach Erfahrungen von Opferberatungsstellen zunehmend ins Visier von Neonazis. Dass die Gewaltverbrechen in zunehmenden Maße auch mit Waffengewalt begangen werden, verdeutlichen folgende Beispiele.
Am 25 . September 2007 war es mit der Ruhe in der sonst so beschaulichen Straße An der Rellau im schleswig-holsteinischen Rellingen vorbei. Beamte des Spezialeinsatz-Kommandos ( SEK ) Schleswig-Holstein schlichen sich an ein Mehrfamilienhaus heran. In dem Haus wohnte der damals 19 -jährige André M. mit Bruder und Eltern. Mit ihm in der Wohnung war sein gleichaltriger Freund Kevin W. aus dem benachbarten Ellerbeck. Die Aktion galt den beiden Jugendlichen. Nach dem SEK rückte der Kampfmittelräumdienst an. Die Jugendlichen werden als rechts eingeordnet. »Die trugen Topfschnitt, Lonsdale-Klamotten und hörten entsprechende Musik«, berichtete ein Jugendpfleger aus dem Ort gegenüber dem »Stern«. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft war André M. kein Unbekannter. Mehrfach stand er vor dem Jugendrichter. Er gilt als Anführer einer Jugendbande, die über Monate einen Hauptschüler drangsalierte und verfolgte. Dafür erhielt M. eine Jugendstrafe von neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Weil André M. auf der Homepage der Gemeinde Rellingen eine Anleitung zum Bau von Briefbomben veröffentlichte, erhöhte das Amtsgericht die Jugendstrafe im März 2007 auf elf Monate, ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt. Der neuerliche Verdacht, M. könne eine Straftat planen, erhärtete sich: Die Beamten des Kampfmittelräumdienstes und des Landeskriminalamtes stellten in der Wohnung verschiedene Chemikalien sicher, die sich zum Bau von Bomben eignen. Gerade noch rechtzeitig, denn die Jugendlichen sollen seit Monaten einen Sprengstoffanschlag auf das wenige Tage später stattfindende »Apfelfest«, mit mehreren tausend Besuchern, geplant haben. Bei dem Anschlag, da sind sich Ermittler und Staatsanwaltschaft sicher, hätten die Jugendlichen »die Tötung und Verletzung von Besuchern des Volksfestes in Kauf genommen«. Die beiden Jugendlichen sollen schon am 6 . Juni 2007 in Ellerbeck zu Testzwecken einen Sprengstoffanschlag auf einen Zigarettenautomaten verübt haben. Dieser wurde durch die Detonation total zerstört. Entdeckt wurde der Plan nur, weil die Jugendlichen mit der Tat im Freundes- und Bekanntenkreis geprahlt hatten. Das Landgericht Itzehoe verurteilte die beiden arbeitslosen 20 -Jährigen im Juli 2008
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