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Neonazis in Nadelstreifen

Neonazis in Nadelstreifen

Titel: Neonazis in Nadelstreifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Andrea und Speit Roepke
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nicht von ihm abgelassen und weiter auf den Wehrlosen eingetreten, bis er das Bewusstsein verloren hatte. »Auf einmal bin ich irgendwo aufgewacht, wo ich mich nicht erinnern kann, wie ich dahin gekommen bin«, so das Opfer später. Vier der Täter im Alter zwischen 22 und 29 Jahren waren einschlägig vorbestraft und standen zum Tatzeitpunkt noch unter laufender Bewährung.
    Anders als in Bützow und Ratzeburg waren die Beamten der Polizeidirektion Halberstadt schon nach einer Minute am Tatort. Doch auch dieser Einsatz lief nicht ohne Pannen ab und weitete sich dann gar zu einem weiteren Skandal für die sachsen-anhaltinische Polizei aus. Eine interne Untersuchung der polizeilichen Ermittlungsarbeit stellte später das Versagen der Polizei auf allen Ebenen fest. Beamte räumten »Fehler und Pannen« bei der Verfolgung der Täter ein. Im Landtag in Magdeburg setzte sich daraufhin ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den Geschehnissen in Halberstadt auseinander.
    Die Vorwürfe gehen dahin, dass die eintreffenden Beamten, ohne sich um die zum Teil Schwerverletzten zu sorgen, erst einmal in aller Ruhe die Personalien der Opfer aufgenommen hätten. Um die Täter, die noch vor Ort waren, kümmerten sich die Beamten gar nicht. So konnten sie sich in aller Ruhe vom Tatort entfernen. Auch die weiteren Ermittlungen wurden schlampig geführt. Im Gegensatz zur Halberstädter Polizei reagierte die Staatsanwaltschaft prompt – und zu hastig. Als Anklage erhoben wurde, waren noch nicht einmal alle Ensemblemitglieder polizeilich befragt worden. Umstände, die verwundern. Auch der folgende Prozess im Herbst 2007 war in den Augen des Intendanten des Nordharzer Städtebundtheaters André Bücker »eine Farce«. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautete auf gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung. Der zuständige Richter aber konnte keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen gemeinsamen Tatplan oder ein arbeitsteiliges Vorgehen der Angeklagten erkennen und ließ die Anklage in diesem Punkt nicht zu. Und das, obwohl doch alles genau auf die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Anklage hindeutete.
    Trotz interner Nachforschungen und Untersuchungsausschuss des Landtages rissen die Pannen der Polizeiarbeit nicht ab. Erst auf massives Drängen von Nebenklage und Verteidigung wurde der Staatsanwaltschaft am 20 . Dezember 2007 ein durch die Halberstädter Polizei zurückgehaltener Aktenordner mit Zeugenaussagen, Fotografien und Tatortspuren übergeben – mehr als zwei Monate nach Prozessbeginn. Die Rechtsanwältin Frauke Steuber, die die Nebenklage vertritt, bezeichnet das Vorenthalten von Ermittlungsergebnissen im laufenden Verfahren durch die Polizei als »Verhöhnung der Opfer des Neonaziangriffs und der Justiz«. Steuber geht sogar noch weiter. Für sie hat es den Anschein, als wolle die »Polizei eine juristische Aufarbeitung des Neonaziangriffs« verhindern. »Die Staatsanwaltschaft ist in der Pflicht, Konsequenzen aus dem bisherigen Prozessverlauf zu ziehen«, mahnt auch ein Sprecher der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt. Ein interner Prüfbericht hatte den Polizisten »Gesamtversagen« vorgeworfen, nur vier der mindestens zehn beteiligten Angreifer waren namentlich ermittelt und angeklagt worden. Vor Gericht machten die Beamten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Tatsächlich wurde Ende Mai 2008 lediglich der vorbestrafte und geständige 23 -jährige Hauptangeklagte zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die übrigen drei Angeklagten wurden im Landgericht Magdeburg aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das Urteil sorgte für öffentlichen Unmut, Theaterintendant Bücker sprach von einer »Katastrophe«. Zwei Ensemblemitglieder haben mittlerweile ihr Engagement am Theater beendet und die Stadt im Harz-Vorland verlassen. Ein kleiner Schritt hin zur No-go-Area, zu einer »Zone der Angst«.
    Anfang der 90 er Jahre entwickelten Neonazis das Konzept der sogenannten national befreiten Zonen. Sie wollten Gebiete besetzen, in denen sie Dominanz ausüben und Ausländer, Obdachlose oder Andersdenkende nicht geduldet werden. Ob diese Ziele punktuell bereits durchgesetzt werden konnten, ist umstritten. Definitiv gibt es »Vorformen rechtsextremer Alltagsdominanz«, solche Orte, an denen Neonazis pöbeln, einschüchtern und auch zuschlagen können, ohne dass Passanten einschreiten. Experten wie Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen

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