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Neonazis in Nadelstreifen

Neonazis in Nadelstreifen

Titel: Neonazis in Nadelstreifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Andrea und Speit Roepke
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Rechtsextremismus ( MBR ) in Berlin bezeichnen diese Gebiete als »Angstzonen«. Solche neonazistischen Aktionsräume gibt es vielerorts, sie variieren häufig und sind nicht für jeden wahrnehmbar. Sie liegen oft an Verkehrsknotenpunkten wie dem S-Bahnhof Schöneweide oder in Straßenzügen wie dem berüchtigten Weitling-Kiez im Stadtteil Lichtenberg. Gefährdete Jugendliche definieren das gegenüber Klose so: »Ich fahre nicht jenseits des S-Bahn-Ringes in Berlin, das ist zu gefährlich!« Wenn Bewohner im vorpommerschen Ueckermünde oder im mecklenburgischen Lübtheen davon erzählen, dass sie bestimmte abgelegene Garagenkomplexe in ihrer Stadt nach Einbruch der Dunkelheit meiden, weil dort »die Nazis dann das Sagen haben«, ihre Fahnen hissen, Alkohol trinken und Randale machen – so zählen auch diese Gebiete zu den subjektiv wahrgenommenen Angsträumen. Im ländlichen Thüringen werden solche Zonen eher anlassbezogen, regional wechselnd, verortet. Im August zu den »Heß-Wochen« etwa, die dem Gedenken an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß gewidmet sind, häufen sich die Übergriffe auf Jugendliche und Migranten in den Kleinstädten. Angsträume bestehen aber auch für Jugendliche in Apolda, wenn sie die Skaterbahn besuchen wollen. Im thüringischen Arnstadt beherrschen Neonazis jedes Jahr das Stadtfest. Beim alljährlichen »Dachsbergfest« in Premnitz im brandenburgischen Havelland dominieren rechte Jugendliche nicht nur die Szene, es gibt auch personelle Kontakte zum Wachschutz. Jugendliche aus der alternativen Szene sind nicht erwünscht. Im Landkreis Teltow-Fläming nahe Berlin fühlen sich vor allem Migranten nicht sicher. Immer wieder kommt es dort zu Übergriffen. Zonen der Angst werden sichtbar, wenn sogar Passanten als Augenzeugen Aussagen bei der Polizei verweigern, weil sie Angst vor Racheaktionen gewalttätiger Neonazis haben.
    Sachsen Anhalt belegt in der Statistik »politisch motivierter Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund« bezogen auf 100 000 Einwohner seit Jahren einen unrühmlichen Spitzenplatz. 2006 zählte die Polizeistatistik 111 rechtsextremistische Gewalttaten.
    Eine Statistik, die nicht jedem gefällt und gefallen hat. Auch nicht dem ehemaligen Dessauer Vize-Polizeipräsidenten Hans-Christoph Glombitza. In einem Gespräch mit drei sehr engagierten Staatsschutzbeamten soll er unter Verweis auf die im Jahr 2006 um über 60 Prozent auf 392 Delikte angestiegenen Fallzahlen rechtsextremistischer Gewalttaten erklärt haben, dass darüber »niemand glücklich« sei, »das Innenministerium ist nicht glücklich, das Landeskriminalamt ist nicht glücklich«. Auch werde »das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich gestört, und das Ansehen unseres Landes könnte nachhaltig geschädigt werden«. Man müsse nicht alles sehen, sei das unmissverständliche Fazit von Dessaus Polizei-Vizechef mit Blick auf den Kampf gegen Rechts gegenüber den drei Staatsschützern gewesen. Die Staatsschutzbeamten fertigten ein Gedächtnisprotokoll des internen Gespräches an und wehrten sich. Der damalige Leiter der Staatsschutzabteilung der Dessauer Polizei wandte sich, nachdem er versetzt werden sollte, mit diesem Protokoll an den Petitionsausschuss des Landtages, und der Vorgang wurde öffentlich. Auch damit befasst sich nun der Untersuchungsausschuss des Landtages. Vor dem Ausschuss wiederholte der inzwischen versetzte ehemalige Staatsschützer die Aussage seines früheren Vorgesetzten Glombitza, der mittlerweile in Ruhestand gegangen ist. Vor dem Untersuchungsausschuss räumte auch sein ehemaliger Chef ein, diese Aussagen gemacht zu haben – allerdings sei dies in einem anderen Zusammenhang geschehen. In der Unterredung habe er lediglich darauf hinweisen wollen, dass er für die Verfolgung rechter Straftaten »nicht mehr Personal zur Verfügung stellen« könne und es deshalb Ermittlungsgrenzen gebe.
    In Sachsen-Anhalt reißen derweil die alarmierenden Vorfälle nicht ab. Doch zwei im Sommer 2008 von Rechten begangene Tötungsdelikte erregten die Öffentlichkeit nur wenig. Als in Magdeburg ein 20 -jähriger Kunststudent von einem gleichaltrigen Täter, der laut »Spiegel« als »Größe in der Neonaziszene« gilt, überfallen und getötet wurde, taten die lokalen Medien den Vorfall als »Disco-Mord« ab. Der Student soll den polizeibekannten Schläger zuvor als Nazi beschimpft haben. Nur eine Woche später, Ende August, wurde der 18 -jährige Marcel W. erstochen in Bernburg aufgefunden.

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