Nephilim
andere Bilder, er hörte sie lachen, roch den Duft ihres Haares, fühlte die Hand seines Vaters auf seiner Stirn und spürte, wie ihn etwas anfüllte mit jedem Bild, das er wachrief, etwas Glühendes und Brennendes, das ihm die Tränen in die Augen trieb und ihn dankbar sein ließ, so dankbar für jeden Tag mit diesen beiden Menschen.
Die Bilder erstanden in den Flammen, und noch während Nando sie betrachtete, sah er Bhrorok auf sich zutreten. Der Dämon erschuf ein Schwert aus schwarzem Feuer, er riss es hoch in die Luft – doch im selben Moment öffnete Nando die Fäuste. Tosend hallte sein Zauber durch das Theater, er wurde getragen von vielen Stimmen, von Antonio, Mara, seinen Eltern, von Luca und Noemi, von Silas, Morpheus und Drengur. Bhrorok fuhr zusammen, schreckensstarr riss er die Augen auf. Der Wirbel aus Feuer raste auf ihn nieder und stürzte sich in seinen geöffneten Schlund.
Blitze und Flammen stoben aus Bhroroks Augen, er zuckte, während er auf die Knie fiel. Risse liefen über seine Haut, und weiße Feuer brachen sich ihren Weg durch sein Fleisch. Er hob die Arme in die Luft, er brüllte, und Nando hörte Schreie, verfluchte, vergessene Schreie, und er vernahm das Tosen von unzähligen Insektenleibern und das herrenlose, sehnsüchtige Heulen eines Wolfs.
Dann war es vorüber. Nando stand da wie erstarrt. Bhrorok saß regungslos auf seinen Knien, Rauch zog über seinen Körper hinweg. Langsam trat Nando näher, und da hob Bhrorok den Blick und sah ihn an. Schwarze Tränen liefen über seine Wangen, sie wuschen den Kalk von seinem Gesicht, und darunter lag bronzene Haut – die Haut eines Menschen.
Atemlos erwiderte Nando diesen Blick. Dann sah er seine Flammen in Bhroroks Leib aufflackern, und mit einem Geräusch, das wie ein Seufzen klang, zerbrach der Leib des Dämons zu Asche.
52
Leise strich der Wind durch die Mohnblumen, kalt und flüsternd wie die Stimme aus einem halb vergessenen Traum. Der rote Blütenstaub glitt geisterhaft über die Ebene, und dahinter lag Bantoryn, die Stadt jenseits des Lichts. Dunkel erhoben sich ihre Gebäude im Zwielicht der Höhle, Ruinen in regloser Schattenhaftigkeit, und vereinzelt stiegen Rauchsäulen zwischen den Mauern auf, als würde die Stadt ihren letzten Atemzug tun.
Nando strich über die Blütenblätter einiger Mohnblumen und fühlte den Staub an seinen Fingern. Er war erschöpft von seinem Kampf gegen Bhrorok, das Blut an seiner Wange war verkrustet, und es fiel ihm schwer, aufrecht sitzen zu bleiben, so sehr sehnte sein Körper sich nach Ruhe. Die Nephilim waren geflohen, und sie hatten das Leben der Stadt mit sich genommen. Mit Hilfe der Ovo waren sie entkommen und befanden sich nun auf dem Weg nach Katnan, in die Stadt der Zwischenweltler, die ihnen eine zerbrechliche Sicherheit bieten würde. Auch Nandos Weg führte in diese Stadt. Maras Gesicht stand ihm vor Augen, ihr Erstaunen, ihr Lächeln und dann die Ruhe der Ohnmacht, die nach ihrer Rettung aus dem Auto über sie gekommen war. Sie war nur leicht verletzt gewesen, ein paar Brandblasen und Schürfwunden. Morpheus hatte sich ihrer angenommen, er brachte sie nach Katnan und würde alles tun, um sie rasch zu heilen. Und dann würde Nando ihr einiges erklären müssen.
Er spürte Avartos’ Blick auf sich ruhen, der Engel stand in einiger Entfernung hinter ihm, ruhig und abwartend. Noemi war bei ihm, sie hatte sich geweigert, mit den anderen nach Katnan zu ziehen, und nun stand sie neben dem Engel, den sie keines Blickes würdigte, und ließ sich vom Staub des Mohns umtanzen. Sie warteten auf ihn, warteten darauf, dass er sich zu ihnen umwandte und eine Entscheidung traf.
Doch Nando rührte sich nicht. Er ließ seinen Blick über die Umrisse der Stadt schweifen. Unheilvolle schwarze Nebel glitten aus dem Höllenriss. Wie eine Vorausdeutung auf etwas Schreckliches krochen geisterhafte Schwaden über die Ränder und zogen in Häusernischen und Hinterhöfe, um sich dort zu klebrigen Schatten zu vereinen. Lauernd und stumm hockten sie im Zwielicht und hüllten die Stadt in eine entseelte Melodie der Stille. Die meisten Dämonen waren längst geflohen, es war, als hätte Bhroroks Tod sie fortgetrieben, doch noch immer bemerkte Nando vereinzelte Horden, die plündernd durch die Gassen zogen. Dumpf pochte der Zorn hinter seiner Stirn. Bald schon würde Bantoryn vollkommen verlassen sein, eine Geisterstadt weit unten in der Erde, umschlossen von Massen an Gestein. Die Stadt jenseits des Lichts
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