Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
völlig normal, wie du mit mir umspringst.«
Die freundliche Phase von Timea hatte genau drei Minuten gehalten.
Mika konnte später genau beschreiben, wie sich Timeas Gesichtszüge Millimeter für Millimeter verhärteten. Angefangen über den Kiefer, die Lippen bis hin zu den Augen. Das konnte Mika deshalb, weil sich all das in ihrer Brust wiederholte.
»Du scheinst zu vergessen, weswegen du hier bist«, sagte Timea.
Die Tränen konnte Mika zurückhalten. Es war zwar schwer, aber es ging. Auch ein Schluchzen konnte sie verhindern. Sie schluckte es hinunter. Aber das Zittern der Hände blieb. Mika wusste, dass sie einfach nur weiterarbeiten müsste. Die Augen auf den Monitor gerichtet, darauf schauen, auch wenn sie brannten; und einfach nur weiterarbeiten. Aber sie schaffte es nicht. Und plötzlich herrschte in ihr absolute Stille. Nichts als dumpfe Leere. Wahrscheinlich hatte sie genau diese Worte gebraucht. Timea Illay hatte sie auf ihren Platz verwiesen.
»Es tut mir leid, Frau Illay«, sagte Mika. Sie erkannte die eigene Stimme nicht wieder. »Ich komme gut voran«, berichtete sie. »Ich gehe davon aus, dass ich fertig bin, bis Ihre Großmutter zurück ist.«
»Mika, ich …«, flüsterte Timea getroffen.
»Wenn Sie sonst keine Fragen haben, würde ich gern weitermachen«, unterbrach Mika jeglichen Versuch Timeas, sich zu entschuldigen. Es hätte nichts an den Worten geändert. Sie waren gesagt.
Wie ferngesteuert beendete Mika den Arbeitstag und fuhr nach Hause. Der Busfahrer schaute sie entgeistert an, weil sie auf sein fröhliches »Guten Abend« nicht reagierte. Sie schaute ihn nur an und ging in die letzte Reihe des Busses. Dort setzte sie sich hin und starrte aus dem Fenster, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
»Das ist doch Ihre Station?«, rief der Busfahrer von vorn.
Mika sah, dass sie an der Haltestelle vor ihrer Wohnung standen. Die Bustüren waren geöffnet.
Erschöpft erhob sich Mika, bedankte sich tonlos für den Hinweis und schleppte sich in ihre vier Wände. Ohne sich auszuziehen warf sie sich auf ihr Bett und starrte an die Zimmerdecke.
Genauso lag sie am Morgen immer noch da. Sie wusste nicht, ob sie in der vergangenen Nacht ihre Augen für eine Sekunde geschlossen hatte. Irgendwann hatte ein stechender Schmerz die Leere in ihrem Körper ausgefüllt. Sie überlegte, ob sie heute überhaupt zur Illayschen Villa fahren sollte.
Plötzlich raffte sie sich auf. »Auf jeden Fall fahr ich da hin!« Die paar Wochen, die ihr Arbeitsvertrag noch ging, würde sie auch noch schaffen. Timea Illay hin oder her. Mika war schon öfter in ihrem Leben verliebt gewesen, und sie war schon öfter verletzt worden.
Dann sah sie wieder vor sich, wie Timea in der Tür stand, zerknirscht lächelnd. Mika dachte an die gemeinsamen Pausen. Da hatte Timea nicht den Eindruck erweckt, als würde sie auf Mika herabschauen. Auch wenn Timea mit Petra Lorentz sprach, war nichts von irgendwelchem Standesdünkel zu spüren.
»Ich werde schon noch herausfinden, was ihr wieder quergeschossen ist«, nahm sich Mika vor. Und wenn Timea in Ruhe gelassen werden wollte, auch gut. Mika würde das schon hinbekommen. Aber erst, wenn sie ein paar Antworten bekommen hatte.
~*~*~*~
F rischer Kaffeeduft empfing Mika, als sie ihre Arbeitsstätte betrat. Ihre Lippen formten sich zu einem leichten Schmunzeln. Da hat wohl jemand ein schlechtes Gewissen. Aber Mika dachte nicht daran, gleich nachzugeben.
Als Timea aus der Küche kam und sie aus seltsam geröteten Augen ansah, blieb Mika einfach stehen. Ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Miene zu verziehen.
»Guten Morgen«, flüsterte Timea. Ihre Finger bewegten sich unruhig.
Es war ein überraschender Anblick. Timea Illay, nervös und schuldbewusst. Trotzdem war ihr Körper gerade aufgerichtet, und sie strahlte ein gewisses Maß an Würde aus.
Mika schüttelte den Kopf. »Morgen«, antwortete sie und ging an Timea vorbei ins Kaminzimmer.
Sie hatte gerade den Computer gestartet, da stand Timea in der Tür. »Können wir reden?«
»Ist das eine Anweisung?«, fragte Mika, ohne aufzuschauen.
»Eine Bitte«, erwiderte Timea leise.
»Na dann.« Mika klappte den Deckel des Laptops zu und wartete.
»Nicht so«, sagte Timea. »Ich hole Kaffee und Tee, und wir setzen uns hin.« Sie deutete auf die Stühle vor dem Kamin. Erstaunlicherweise brannte darin ein kleines Feuer. Das wirkte irgendwie romantisch. Mika wurde immer neugieriger auf das, was nun kommen würde.
»Wegen gestern …«,
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