Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
»Über den Grund Ihres Hierseins müssen wir noch einmal reden.«
»Sie wissen genau, dass es da nichts mehr zu reden gibt.«
»Da bin ich anderer Ansicht.« Timea hob die Hand, als Gernot Hampf sie unterbrechen wollte. »Ich habe gestern einen Kreditvertrag mit meiner Hausbank abgeschlossen. Dadurch war ich heute in der Lage, meine Schulden bei Ihnen in voller Höhe zu begleichen.« Sie überreichte ihrem Besucher die Einzahlungsbestätigung.
Mit versteinertem Gesicht griff Gernot Hampf danach, starrte darauf. »So, so. Ein neuerlicher Kredit.« Seine Miene verzerrte sich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Bank einfach so mir nichts dir nichts einen Betrag in der Höhe zur Verfügung stellt.« Er bekam sein Mienenspiel in den Griff. »Die Frage ist, auf welches Spiel Sie sich eingelassen haben?«
»Das dürfte nicht Ihr Problem sein«, wies Timea ihn zurecht.
»Zum Glück nicht. In Ihnen steckt offenbar mehr von Ihrem Großvater, als ich gedacht habe. Mit solchen Leuten Geschäfte zu machen, ist mir auf Dauer sowieso zu riskant.«
Gernot Hampf schmiss das Stück Papier auf den Schreibtisch, stand auf, stützte sich mit beiden Händen auf der Schreibtischplatte ab und schaute mit zusammengekniffenen Brauen auf Timea hinunter. »Dann wünsche ich Ihnen viel Glück. Oder toi, toi, toi. Was auch immer Leuten wie Ihnen hilft.« Wie ein Gockel stolzierte er aus dem Büro.
Timea zuckte zusammen. Bis zu dem lauten Knall, mit dem die Haustür zufiel, hatte sie nichts mehr wahrgenommen. Zu sehr dröhnten die Worte in ihren Ohren, hämmerten in ihrem Gehirn. Es waren Anschuldigungen ohne jeglichen Wahrheitsgehalt. Timea hatte nichts von ihrem Großvater. Nicht das Geringste.
Doch – Timea zog einen Mundwinkel zur Seite – sie hatte etwas von ihm. Den Ordner dort im Regal. Den, und alles, was sich darin befand, hatte Timea von ihrem Großvater. Bedeutungslose Papiere, solange sie nicht vergaß, was sie daraus gelernt hatte.
Sie rückte mit ihrem Stuhl näher an den Schreibtisch. Wie zum Beispiel, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Etwas, was auch ihr Telefon signalisierte.
Diesmal ließ ihr Mika die Zeit, ihren vollständigen Namen zu nennen.
»Bitte leg nicht wieder auf«, sagte Mika im Flüsterton.
Timea blieb stumm. Lauschte dem leisen Atmen. Dem Zittern, das darin zu hören war.
»Ich hoffe, ich störe nicht?« Mika hatte wohl beschlossen, mit Smalltalk zu beginnen.
Damit konnte Timea leben. Warum auch nicht? Die Gespräche mit Mika taten meistens gut, lösten Verspannungen wie eine wohltuende Massage.
»Nein«, erwiderte Timea daher versöhnlich. »Dein Ex-Chef ist gerade gegangen.«
»Und dabei bestimmt wie Rumpelstilzchen abgerauscht, weil du seinen Namen erraten hast«, mutmaßte Mika.
Timea musste schmunzeln. »Du hast es erfasst.«
»Konntest du ihm seinen Vertrag um die Ohren hauen?«, fragte Mika mit vibrierender Spannung in der Stimme.
»Mehr oder weniger.«
»Was heißt das? Mehr oder weniger.« Ein leises Ächzen von Sprungfedern war zu hören. Das löste bei Timea die Vorstellung aus, wie sich Mika auf einem Sofa räkelte.
»Er …«, Timea räusperte sich kurz, »er hat vorher den Kopf eingezogen und die Flucht ergriffen.«
»Schade. Das hätte ich gern gesehen.«
»Wie jetzt?«, flachste Timea. »Du hättest dir das Ganze ohne entsprechende Wasserspiele angeschaut?«
Mika lachte. »Selbstredend. Er hat auch so seinen Denkzettel bekommen.«
Da war sie. Die ausgelassene Stimmung, die Timea durch manch düstere Stunden geholfen hatte. Sie spürte dieses Schweben, das in Mikas Gegenwart oft möglich war. Gleichzeitig erinnerte sich Timea an den Aufprall, der dem Schweben gefolgt war. Er war unsanft gewesen.
Auch wenn Timea es verdrängen wollte. Das Wissen war da und würde bleiben. Es würde sie immer zurück auf den Boden der Tatsachen holen.
Also legte sie den Hebel um, und die Mauer um sie wurde neu errichtet. Stein für Stein. »Schade eigentlich«, bemerkte Timea. »Da du bald heiratest, wird die Welt wohl in Zukunft auf deine legendären Denkzettel verzichten müssen.«
Die Sprungfedern ächzten wieder. Dann war es still.
Mikas Räuspern durchbrach die Stille wie ein Donnerschlag. »Können wir uns treffen?«, fragte sie.
»Dafür besteht keine Veranlassung.« Die Kälte in ihrer Stimme erschrak Timea selbst.
»Wenn du meinst, Timea«, drang es tonlos aus dem Hörer. Dann war nur noch ein Tuten zu hören, das in Timeas Ohr nach und nach zu einem
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