Nerd Attack
für das Unpraktische an der Platte, für das Ritual des Aus-der-Hülle-Nehmens, die eigentlich doch ziemlich lästige Notwendigkeit, eine Platte vor dem Hören mit einem Miniaturbesen zu fegen, ja sogar für die Tatsache, dass man nach der Hälfte eines Albums aufstehen und die Platte umdrehen muss. Es ist eine gewissermaßen kantianische Begeisterung für Schwierigkeiten, die da durchscheint: Nur, was hart erarbeitet werden muss, ist wirklich etwas wert. Dass man mit der gleichen Begründung Fernbedienungen für T V-Geräte ablehnen könnte, kommt Vinylnostalgikern nicht in den Sinn. DJs, die darauf verweisen können, dass das Handwerk des Musikmischens nun einmal traditionell mit Plattenspieler, »Pitch Control« und Crossfader ausgeübt wird, sind die wenigsten von ihnen.
Der meistverteidigte Datenträger aber ist derzeit das Zeitungspapier: Immer wieder ist zu lesen, das Internet könne die Zeitung als Nachrichtenmedium niemals ersetzen, weil Papier so schön raschelt, weil man Seiten von Hand umblättern muss, wegen des Geruchs der Druckerschwärze. Und weil, das allerdings wird nie so recht begründet, Journalismus auf Papier irgendwie »besser« sei. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, pries sogar die Langsamkeit des Setz- und Druckprozesses einmal als unschlagbares Argument für die Zeitung und gegen das Netz. Nur die langsame Zeitung, so seine Argumentation, schaffe die Zeit zum Nachdenken, die guten Journalismus möglich mache. Die Zeitung sei »das verzögernde Moment in der gesellschaftlichen Kommunikation«. Das mache sie »für immer unverzichtbar«.
Das erinnert ein bisschen an die These, Platten klängen besser, weil man sie von Hand umdrehen muss.
Ins gleiche Horn stieß der Chefredakteur der »Süddeutschen Zeitung«, Hans-Werner Kilz, bei einer Veranstaltung im September 2010. Die Zeitung, die auf Papier gedruckte wohlgemerkt, sei ein »separates Geschäft und eine völlig eigene Form von Nachrichtenjournalismus«, sagte Kilz. Und sprach dann in einem Nebensatz auch an, worin vermutlich das eigentliche Problem mit dem Internet liegt: Für Online-Werbung wird viel schlechter gezahlt als für gedruckte Anzeigen. Für Kilz ist das jedoch nebensächlich: »Selbst wenn die Online-Angebote genug Geld einbringen würden, um alles allein produzieren und auch senden zu können, ist doch eines klar: Der Nachrichtenjournalismus im Netz wird nie so in die Tiefe gehen oder den investigativen Journalismus gar ersetzen können.« Warum das so sein sollte, bleibt unklar ebenso wie die Frage, woher Kilz die Erkenntnis hat, dass es im Internet keinen investigativen Journalismus gebe. Es ist verblüffend, wie intensiv der Datenträger Papier mit bestimmten, geradezu mythischen Eigenschaften aufgeladen wird – obwohl doch auch die »Bildzeitung«, Hardcore-Pornografie und sogar »Mein Kampf« auf Papier gedruckt werden. Die einzige Erklärung ist, dass hier wieder einmal jemand der so unbedingten wie anlasslosen Überzeugung ist, dass Papier als Datenträger Bildschirmen überlegen sei. Dass Nachrichten irgendwie besser, wahrer, wertvoller werden, wenn man sie auf Papier druckt, das danach quer durchs Land gekarrt werden muss, damit die Papierstapel frühmorgens überall auf den Türschwellen der Abonnenten abgelegt werden können. Die Tageszeitung ist in ihrer Darreichungsform längst ein Anachronismus, und diese kaum zu leugnende Erkenntnis bereitet so manchem solche Schmerzen, dass er sein Heil in begründungslosen Behauptungen sucht.
Ich habe dafür viel Verständnis. Ich bin, was das Papier angeht, selbst Datenträgernostalgiker. Ich habe eine Tages-und eine Wochenzeitung abonniert und natürlich den SPIEGEL. Das Bücherregal ist das raumgreifendste Möbelstück in meinem Wohnzimmer, und ich habe in meinem ganzen Leben noch nie ein Buch weggeworfen. Ich liebe Bücher in Papierform und möchte sie auch in Zukunft nicht in einem Standardfont auf einem E-Ink-Bildschirm lesen oder gar auf einem PC-Monitor. Sie brauchen keine Batterie, Sand macht ihnen nichts aus, und man kann sie sogar in die Badewanne fallen lassen und mit einem bisschen Glück anschließend trotzdem noch zu Ende lesen. Mit einem Kindle geht das nicht. Aber ich bin auch Realist: Sobald Preis, Qualität und Komfort stimmen, werden gedruckte Bücher den gleichen Weg gehen wie Vinyl-schallplatten: Sie werden zu kostspieligen Nostalgieobjekten werden, die sich nur leistet, wer bereit und fähig ist, für
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