Nerd Attack
erstaunte Gesichter und längere Fußmärsche gefasst machen.
Damit das Digitale das Analoge aussticht, das hat die Geschichte vielfach gezeigt, braucht es nur drei Faktoren: Die Qualität muss stimmen, der Komfort – und der Preis. Das Totenglöcklein der CD begann in dem Moment zu läuten, in dem das MP3-Format erfunden wurde, das Musikdateien in akzeptabler Klangqualität ermöglichte, als Musiktauschbörsen diese Dateien dann für den besten Preis von allen verfügbar machten: gratis. Das Ende der VHS-Kassette begann, als die erste DVD gepresst wurde, und das der DVD, als die ersten Online-Videotheken Filme zum direkten Download anboten. Dass Film-Downloads sich noch nicht flächendeckend durchgesetzt haben, liegt vor allem an Faktor drei, dem Preis: Sie sind nicht, wie das eigentlich sein sollte, weil ja weder Ladengeschäfte noch Datenträger und Hüllen vorgehalten werden müssen, preiswerter als Leih- oder Kauf-DVDs. Sie kosten mehr. Die Branche verteidigt das von ihr selbst als lukrativer betrachtete Geschäft mit einer restriktiven Preispolitik. Also verschafft sich die Kundschaft Produkte eben zum Nulltarif, wieder über Internet-Tauschbörsen oder illegale Download-Websites.
Den freien Fall der Musikbranche hat erst Apple mit der Einführung von iTunes und bezahlbaren Preisen für Musikdateien stoppen können. Für die Branche war das sehr unangenehm. Noch heute sind Musikmanager auf Apple-Chef Steve Jobs nicht gut zu sprechen, weil er ihnen auf sehr kompromisslose Weise die Bedingungen diktiert, nach denen das Geschäft zu laufen hat: nur ein Preis, 99 Cent pro Song, keine Staffelung, keine Rabatte, keine Aufschläge. Und natürlich ein saftiger Obolus für den Konzern mit dem Apfel. Man wird der Film- und Fernsehbranche in den kommenden Jahren womöglich dabei zusehen können, wie sie die gleichen Fehler macht, in die gleichen Fallen stolpert wie die Manager des Musikbusiness. Aber wer weiß, vielleicht kriegt Hollywood die Kurve ja doch noch. Die Verlagsbranche beobachtet das Geschehen mit großem Interesse. Ihre digitale Revolution hat gerade erst begonnen.
Die nostalgische Generation
Nostalgie ist eine der Eigenschaften, die den Menschen vom Tier unterscheiden, weil er ein Bewusstsein seiner selbst und für seine eigene Geschichte besitzt. Die Vergangenheit sieht im Rückblick immer hübscher aus als die Gegenwart. Meist auch hübscher, als sie eigentlich war. Früher war alles besser, und zwar schon immer (von extremen Erlebnissen wie Kriegen oder Hungersnöten einmal abgesehen). Vermutlich deshalb, weil früher schon vorbei ist und man es ja überlebt hat. So schlimm kann es also nicht gewesen sein. Die Vergangenheit wirkt vertraut und deshalb nicht bedrohlich, im Gegensatz zur Zukunft, die ungewiss und damit furchteinflößend ist.
Vermutlich ist der Mechanismus einer, der einst Steinzeitmenschen davor bewahrte, durch schreckliche Erlebnisse so nachhaltig traumatisiert zu werden, dass sie dadurch lebensunfähig geworden wären. Es war einfach gesünder, den Hungerwinter oder die Begegnung mit dem Säbelzahntiger im Rückblick nicht mehr ganz so schlimm finden zu müssen. Wahrscheinlich wären wir ohne Nostalgie alle depressiv.
Manche Leser werden das Vorangegangene mit einem Stirnrunzeln oder heftigem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen haben. Für jeden, wirklich jeden der genannten sterbenden Datenträger finden sich Fans, Aficionados, manchmal Besessene, die bereit sind, ihn bis aufs Blut zu verteidigen. Datenträgernostalgiker. In ihren Predigten kommt immer das Wort »niemals« vor, meistens kombiniert mit Begriffen wie »Sinnlichkeit«, »haptisch« oder »emotional«. Es mag paradox anmuten, aber gerade in meiner Generation ist das sehr häufig. Beispielsweise gibt es in der Altersgruppe unter 40 eine große Zahl von glühenden Verehrern der Vinylschallplatte. Vinyl erlebt seit Jahren einen sensationellen Aufschwung, Plattenläden und Versandhändler verzeichnen erfreut und verwundert, dass eine wachsende Zahl von Menschen lieber einen großen, glänzenden Datenträger aus Plastik in einer Papphülle kauft als eine CD oder ein Bündel Dateien. Plattenspieler sind jetzt Luxusobjekte, die Tausende, ja Zehntausende von Euro kosten können. Die Verfechter der Schallplatte preisen einen Klang, den sie als »wärmer« empfinden, die haptischen Eigenschaften der Platten selbst, ihr Gewicht, natürlich die großen Hüllen, das Artwork, die »Liner Notes«. Sie begeistern sich aber auch
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