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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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nostalgisches Wohlgefühl einen Aufpreis zu entrichten.
    Die letzte Zuflucht derer, die ihren Lieblingsdatenträger vom Untergang bedroht sehen, sind stets ästhetische Argumente. Immer gibt es haptische, olfaktorische oder emotionale Gründe dafür, dass das Alte besser, schöner, echter ist als das Neue. Es gibt sogar Menschen, die Disketten lieben. Als Sony 2010 ankündigte, die Produktion von 3,5-Zoll-Disketten endgültig einzustellen, erschienen weltweit melancholische Abgesänge. Ein Redakteur der US-IT-Website »ZDNet« bekannte: »Na gut, ich nehme noch manchmal eine in die Hand, nur um die Metallabdeckung hin und her schnalzen zu lassen.« Die Diskette wird in Sammlungen überleben – und, wie der gute alte Telefonhörer, als anachronistisches Piktogramm. Schließlich ist sie unser universelles Zeichen für »Speichern«. Unsere Kinder werden uns eines Tages fragen, warum.
    Heute sind selbst 18-Jährige schon nostalgisch. Je mehr Wandel, je rasanter die Veränderung, desto schneller und früher setzt offenbar die Nostalgie ein, der wehmütige Blick zurück. Die Jugend der Generation C64 war zwar geprägt von der Angst vor dem Kalten Krieg und der Umweltzerstörung – doch sie spielte sich in weitgehender ökonomischer Sicherheit ab, behütet und abgeschirmt gegen die realen Übel dieser Welt. Aus heutiger Sicht erscheint sie wie eine Jugend im Paradies – der ideale Nährboden für nahezu schrankenlose Nostalgie.
    Der Strom der Veränderung, der zunehmend schneller Produkte, Moden, Technologien wegschwemmt, schuf auch eine Vielzahl von Altwassern an seinen Ufern. Weil sich so viel verändert hat wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, gibt es jede Menge Objekte, an denen wohlig-wehmütiges Erinnern ankert. Folgerichtig finden wir Nostalgiker jeder Couleur – die Vinylbegeisterten sind nur eine Gruppe unter vielen. Anfang 2010 veröffentlichte die britische Band The XX eine melancholische Single namens »VCR« (Videorekorder). Ihre Mitglieder sind alle um die 20 Jahre alt.
    Andere sammeln alte Spielkonsolen, Disneys »Lustige Taschenbücher« oder alte TV-Serien wie »Ein Colt für alle Fälle«, »Magnum« oder »Das A-Team« auf DVD. Manche sehen regelmäßig »Die Sendung mit der Maus« oder hören Kinderhörspiele wie »Die drei Fragezeichen«. Je länger dieser Trend andauert, desto ehrlicher wird er: Die anfänglich noch vorgeschobene Ironie löst sich in Luft auf.
    Dass dieses Phänomen kein rein deutsches ist, zeigen auch die Hollywood-Produktionen der vergangenen Jahre. Die neuen »Star Wars«-Filme, die George Lucas ab 1999 den Originalen nachschob (beziehungsweise voranstellte, wenn man der internen Lucas-Chronologie folgt), waren perfekte Produkte, um den unstillbaren Hunger dieser Generation nach Aktualisierungen früherer Glücksmomente zu befriedigen, ebenso wie die Neuauflage von »Indiana Jones« im Jahr 2008, in der ein 65-jähriger Harrison Ford noch einmal aus fahrenden Autos springen musste. Ein Hollywood-Remake des »A-Teams« kam 2010 in die Kinos, eine Kinoversion von »Ein Colt für alle Fälle« ist in Planung. Für all die Nerd-Kultur-Filme von »Batman« bis »Herr der Ringe« gilt dasselbe: Sie zeigen, wie tief die Sehnsucht dieser Generation nach dem guten alten Eskapismus ist. Nostalgische Gefühle zielen aber nicht nur auf Unterhaltung, sondern auf wirklich fast jedes Produkt, das in dieser Zeit des Turbokonsums entstanden und wieder vergangen ist, von Pfefferminzbonbons bis zu Limonadensorten. Selbst die Autos, die für diese Generation gebaut werden, sollen wieder so aussehen wie damals, vom New Beetle über den Mini bis hin zum Fiat 500.
    Im Pop ist das Revival bereits vor Jahren zum Dauerzustand geworden, bei immer schnellerer Abfolge der Stilrichtungen. Zuerst waren die Sechziger dran, das war Mitte der Neunziger, als Britpop-Bands wie Oasis und Blur die Beatles und die Rolling Stones als Vorbilder priesen. Dann kamen die Siebziger, Bands wie Jamiroquai brachten Schlaghosen, Afros und alte Turnschuhmodelle zurück in den Mainstream, und auch Punk kam wieder. Die Strokes zitierten die Stooges, Green Day die Buzzcocks (auch wenn die davon nicht beeindruckt waren – Buzzcocks-Gitarrist Steve Diggle sagte 2005, nach einem Zufallstreffen mit Green Day: »Ich hatte keine Ahnung, wer die sind. Jedenfalls keine Punks«).
    In diesen Tagen erleben die Achtziger ihre Renaissance. Bands, deren Mitglieder damals vielleicht gerade geboren wurden, klingen wie »New Order«

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