Nervenflattern
ich gestern schon aufgebraucht. Dann fahre ich besser zu Hause vorbei und ziehe mich um.«
»Mach das. Wenn der Typ vom Jugendamt sich heute nicht mehr meldet, können wir sowieso Feierabend machen.«
»Das klingt doch nach mehr. Mir tut die Nase weh, ich sehe aus wie ein Bauarbeiter, und außerdem habe ich was Nettes zu rauchen in der Tasche.«
Lenz sah ihn an und hielt die Hand auf.
»Du sagst selbst, dass es nichts taugt. Also her damit, damit du erst gar nicht in Versuchung kommst.«
Lenz wusste, dass Hain ab und zu einen Joint rauchte.
»Das ist jetzt echt nicht fair, Paul.«
Lenz streckte ihm auffordernd die Hand entgegen. Hain legte das Haschisch mit finsterem Blick hinein.
»Ist besser so, glaub mir. Du machst dich jetzt nach Hause und weinst ein bisschen der verpassten Chance nach. Wenn der Anruf vom Jugendamtsleiter kommt, müssen wir noch mal raus, wenn nicht, lassen wir es für heute gut sein. Dann sehen wir uns morgen um halb acht im Büro. Ich befrage jetzt den alten Bilicin, telefoniere danach mit Ludger und fahre auch nach Hause, wenn ich nichts von dir gehört habe.«
18
Lenz legte kurz den Finger auf die Klingel und wartete. Dann hörte er das kreischende Summen des Öffners und drückte gegen die Tür. Im Haus roch es nach Essen und Reinigungsmittel. Bilicin wohnte im dritten Stock und erwartete ihn an der Tür. Er begrüßte den Polizisten, und Lenz hatte das Gefühl, dass sein Besuch nicht überraschend kam für den Türken, der ihn bat, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Die Wohnung war hell und modern eingerichtet, ganz anders, als Lenz es sich vorgestellt hatte.
»Çay, Herr Kommissar?«
»Ja, gerne.«
Bilicin ging in die Küche und kam mit zwei Teegläsern zurück.
»Sie sind überrascht, wie es hier aussieht?«
»Na ja, es ist ein wenig …« Er überlegte. »Es ist anders als in den Wohnungen Ihrer Landsleute, die ich bis jetzt gesehen habe.«
»Meine Tochter Emina ist Architektin.« Er griff hinter sich und zeigte Lenz ein Bild. Darauf war eine etwa 30-jährige hübsche Frau mit dunklen Haaren und ebenso dunklen Augen zu sehen.
»Das ist sie«, sagte der Türke mit Stolz in der Stimme.
»Sie hat bis vor zwei Jahren hier gewohnt, und weil sie gerne so leben wollte, haben meine Frau und ich sie hier alles einrichten lassen. Zuerst fanden wir es nicht schön, aber mit der Zeit haben wir uns daran gewöhnt.«
»Hat sie ein eigenes Architekturbüro?«
»Ja. Sie macht viele Planungen für unsere Landsleute. Die arbeiten lieber mit Türken als mit Deutschen. Weil sie so misstrauisch sind, wissen Sie.« Er schmunzelte.
»Und sie hat bis vor zwei Jahren hier gewohnt? Ist das nicht ungewöhnlich?«
Bilicin trank einen Schluck von seinem Tee und zuckte mit den Schultern.
»Sie hat sich anders entwickelt, als wir es uns vorgestellt haben. Als sie klein war, ist sie immer nur mit deutschen Mädchen und Jungen zusammen gewesen. Sie hat auch nie daran gedacht, einen Türken zu heiraten. Einmal hatte sie einen türkischen Freund, da waren meine Frau und ich sehr glücklich, aber es hielt nicht lange. Sie hatte auch deutsche Freunde, aber bis vor drei Jahren war keiner der Richtige. Dann hat sie ihren Mann kennengelernt. Und jetzt hat sie ein Kind, obwohl sie selbst nie schwanger gewesen ist. Aber er ist ein guter Mann.«
»Haben die beiden ein Kind adoptiert?«
»Nein, ihr Mann hatte schon einen Sohn. Er hat seine Frau wegen Emina verlassen, und zuerst war der Kleine bei seiner Mutter. Aber letztes Jahr hat die ihre Arbeit verloren und komische Sachen gemacht, da kam das Kind zu Emina und Kurt, so heißt er. Zuerst war es schwer mit einem deutschen Schwiegersohn, aber jetzt ist er wie ein richtiger Sohn für uns geworden. Und Emina liebt ihn.«
Er stellte seine Teetasse auf den Tisch.
»Aber Sie sind nicht zu mir gekommen, um mit mir über meine Tochter zu sprechen?«
»Nein. Ich wollte Ihnen sagen, dass Ihre Frau wirklich vergiftet worden ist, wie wir es vermutet haben.«
»Ich weiß, ich habe die Nachrichten im Fernsehen gesehen. Da haben sie von einer Frau gesprochen, die im Februar gestorben ist. Es wurde kein Name genannt, das war gut so, sonst wären schon alle meine Verwandten hier. Und meine Söhne würden auf dumme Gedanken kommen.«
»Auch wenn es offiziell wird, dass Ihre Frau ermordet wurde, und es vielleicht in der Zeitung steht oder im Fernsehen kommt, dürfen Ihre Söhne keine Dummheiten machen. Wir haben es hier mit sehr gefährlichen Menschen zu tun, die über
Weitere Kostenlose Bücher