Nervenflattern
je.« Leichter schnäuzte sich erneut.
»Bis wir uns kennengelernt haben, ist Dieter von den Kerlen immer nur hintergangen worden. Das ging so weit, dass er sich aus Verzweiflung sogar einmal mit einer Frau eingelassen hat. Glauben Sie mir, die meisten von denen könnten sich nicht mal mehr an ihn erinnern.«
»Hatten Sie vielleicht einmal Kontakt zur rechten Szene?«
»Ihre Frage ist nur so zu verstehen, ob wir mal von denen bedroht oder geschlagen wurden? Nein, auch da kann ich Ihnen keine Hinweise geben. Freunden von uns ist das passiert, aber uns selbst nicht. Wie gesagt, wir haben wie jedes andere Paar zusammengelebt, nicht mehr und nicht weniger.«
»Haben Sie Kontakt zur Documenta?«
»Wir haben uns beim letzten Mal ein paar Sachen angesehen, das ist alles. Wir konnten nie viel mit der modernen Kunst anfangen. Ich selbst interessiere mich mehr für die Kunst des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts.«
»Gibt es in Ihrem Bekanntenkreis einen Chemiker?«, fragte Lenz weiter.
»Einen Chemiker?« Der schwergewichtige Mann kratzte sich am Kinn. »Nein, einen Chemiker kenne ich nicht. Warum?«
»Die Herstellung dieses Nervenkampfstoffes Soman ist nicht so einfach, wie es jetzt vielleicht in den Medien dargestellt wird. Dazu braucht man detaillierte Chemiekenntnisse und ein Labor. Deshalb meine Frage nach einem Chemiker.«
»Wie hat Dieter das Gift denn verabreicht bekommen?«
»Das wissen wir nicht, und das macht uns auch noch große Sorgen. Die Leiche Ihres Partners ist auf dem Weg nach Wiesbaden, um von Spezialisten untersucht zu werden.«
Lenz konnte ein Gähnen nicht unterdrücken.
»Für den Moment habe ich keine Fragen mehr, Herr Leichter.«
Er sah Hain an, der den Kopf schüttelte.
»Wir danken Ihnen, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Und nochmals Entschuldigung, dass wir Sie vor Ihrem Haus abgefangen haben.«
»Kein Problem.«
Sie verließen gemeinsam das Büro. Lenz brachte Leichter zum Treppenhaus und verabschiedete sich von ihm. Dann ging er zurück zu Hain, der in seinem Büro auf ihn wartete.
»Wir müssen jemand vom Jugendamt auftreiben, der uns etwas zu Brills Arbeit erzählen kann und der uns Zugang zu den Akten verschafft, die er bearbeitet hat.«
»Kümmer dich drum«, forderte Lenz ihn auf. »Ich geh rüber in mein Büro und schlafe ein paar Minuten, weil ich kaum noch stehen kann. Anschließend fahren wir zu den Bilicins oder zum Jugendamt.«
Er zog die Tür hinter sich zu, ging in sein Büro und schloss von innen ab. Dann nahm er einen großen Suppenteller, den er nur für diesen Zweck dort aufbewahrte, aus dem Schrank, und stellte ihn neben seinen Stuhl. Anschließend kramte er seinen Schlüsselbund aus der Jackentasche, setzte sich und brachte sich in eine bequeme Position. Die Schlüssel nahm er in die rechte Hand und positionierte sie etwa 60 Zentimeter über dem Teller. Keine Minute später war er in dieser Position eingeschlafen.
Diesen Trick, der bei ihm ausgezeichnet funktionierte, um dem Körper etwas Erholung zu gönnen, ihn aber nicht in eine tiefere Schlafphase kommen zu lassen, war Lenz einmal von einem alten Gewerkschafter verraten worden. Der hatte ihn während endloser Verhandlungsmarathons ausprobiert. In dem Moment, in dem der Körper auf Entspannung schaltet, lässt die Hand den Schlüssel fallen. Der veranstaltet im Suppenteller genug Krach, um den Einschlafenden aufzuwecken. In diesem Moment hat der Körper jedoch noch nicht die zur Einleitung des tieferen Schlafs erforderlichen Stoffe ausgeschüttet, und man wacht etwas erholter auf. Theoretisch zumindest.
Das genau tat Lenz 14 Minuten, nachdem er eingeschlafen war. Er streckte sich, blinzelte und nahm die Füße vom Schreibtisch. Dann stellte er den Teller zurück in den Schrank, nahm sein Telefon aus der Jacke, steckte sich eine Zigarette an und las noch einmal die SMS von Maria.
›Erich hat eben angerufen, er ist auf dem Weg nach Kassel. Leider wird aus unserem gemeinsamen Aufwachen nichts. Eine unendlich traurige Maria‹.
Wer auch immer diese Nervengasfuzzis sein mögen, dachte der Kommissar, ich hasse sie.
20 Minuten später saß er neben Hain in einem zivilen Dienstwagen und war auf dem Weg zu Ümit Bilicin. Der Regen hatte aufgehört, aber die Straßen waren noch nass. Auf dem Jugendamt war niemand zu erreichen gewesen. Hain hatte den Namen des Amtsleiters herausgefunden, ihm eine Nachricht auf seinem privaten Telefonanschluss hinterlassen und um Rückruf gebeten.
Sie bogen am
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