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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zunehmender Stärke ins Gesicht blies, sorgte für zusätzliche Erschwernisse. Die beißende Kälte ergriff die Wanderer von den Zehenspitzen bis in die Haarwurzeln. Um den Behmisch machte Yonathan sich besondere Sorgen. Die Bewegungen des grünen Freundes waren nur noch ein trauriger Abglanz seines ehemals so flüssigen und weichen Dahingleitens.
    Die Sicht wurde zunehmend schlechter und was ihnen zunächst als schwebende Nebelschwaden erschien, verdichtete sich bald zu einer dicken, milchigen und undurchsichtigen Wolkendecke.
    »Wir durchschreiten jetzt das Dach des Verborgenen Landes«, ertönte Din-Mikkiths Stimme von irgendwoher aus der Wolke vor ihnen.
    Yonathan hörte, wie Yomi ausrutschte und sich gerade noch abfangen konnte. »Pass auf!«, rief er dem Freund zu. »Wenn du hier ins Rutschen kommst, findest du dich erst im Salzsee wieder.«
    »Oder in Einzelteilen unter einer Felswand.«
    »Wir sollten erst mal sehen, dass wir aus diesem Nebel herauskommen«, schlug Din-Mikkith vor.
    Der Marsch ging weiter.
    In gewisser Weise erinnerte Yonathan der Aufstieg durch das »Dach des Verborgenen Landes«, wie Din-Mikkith es genannt hatte, an den nächtlichen Marsch über den Salzsee. Alle Geräusche rührten von den eigenen Schritten her. Man glaubte durch eine andere Welt zu wandern – oder vielmehr die Grenze zu solch einer fremdartigen Welt zu durchschreiten.
    In diesem Augenblick sah Yonathan einen gelblichen Schimmer vor seinen Augen. »Was ist das?«, raunte er Din-Mikkith zu.
    »Etwas, das sich mir seit zweihundert Jahren nur verschleiert gezeigt hat.«
    »Die Sonne!«
    Erst in diesem Augenblick wurde Yonathan bewusst, dass er die Sonne seit über einem Monat nicht mehr gesehen hatte. Für einen Augenblick vergaß er alle Vorsicht und eilte mit langen Schritten voraus.
    Alsbald lichtete sich der Nebel und die Gefährten erblickten eine Hochebene. Obwohl sich die Sonne zu Yonathans Enttäuschung hinter einem dünnen Schleier verbarg, beschirmte Din-Mikkith seine Augen mit der Hand. »Wir sind sehr lange nach Südosten gewandert. Jetzt müssen wir uns direkt nach Westen wenden. Ich denke, wir werden die Ebene noch überqueren können, bis sich Dunkelheit über die Berge legt.«
    Yonathan beschäftigte etwas ganz anderes. »Schau da drüben, in den Bergen auf der anderen Seite der Ebene.« Er deutete nach Westen. »Könnt ihr es auch sehen?«
    Die Freunde entdeckten bald, was Yonathan meinte.
    »Als würde jemand Suppe kochen – in einem unheimlich großen Topf«, brummte Yomi.
    »Wie der dampfende Atem eines Ungeheuers«, fand Din-Mikkith.
    »›Nüstern, die blasen mit eisigem Hauch, die schmelzen den Sucher in feuriger Glut‹«, zitierte Yonathan aus dem alten Gedicht über die Wächter des Verborgenen Landes.
    Din-Mikkith konnte den Blick nicht von der fernen Erscheinung nehmen, während er murmelte: »Ich denke, du hast gewonnen, Kleines. Das ist das Tor im Süden. Wir haben es wirklich gefunden!«
    Niemand brach in Jubel aus. Zu viele Unbilden waren mit dem Durchschreiten dieses Tores verbunden.
    Yomi beschirmte die zusammengekniffenen Augen mit der Handfläche. »Seht ihr auch diesen seltsamen goldenen Schimmer?«
    »Ich habe mich auch schon gefragt, was das sein könnte«, entgegnete Yonathan nachdenklich. »Ob wir es wohl heute noch erreichen könnten?« Aus seiner Stimme sprach eher Zweifel als Hoffnung.
    »Nein, bestimmt nicht«, meinte Din-Mikkith. »Du vergisst, dass da draußen jemand auf uns wartet. Wir sind viel zu erschöpft, um ihm heute gegenüberzutreten. Außerdem gibt es da noch ein anderes Problem…Wir müssen noch an dem Wächter des Tores vorbei.«
    Die drei verbrachten die Nacht in einer Höhle. Man war sich uneinig, ob man die Hochebene noch vor Einbruch der Dunkelheit überqueren könnte. Schließlich entschloss man sich aber doch dazu. Der befürchtete Angriff Sethurs blieb aus. »Er wird sich sicher eine weniger gut zu überschauende Stelle aussuchen«, hatte Din-Mikkith vermutet und er sollte Recht behalten.
    Noch etwas anderes beunruhigte die drei Kameraden. Yonathan hatte in der Dämmerung am Eingang der Höhle gestanden. Auf den Stab Haschevet gestützt blickte er gedankenverloren auf die eben durchquerte Ebene hinaus, als er ein seltsames Kribbeln im Hinterkopf verspürte. Erschrocken wandte er den Blick zum Himmel empor und bemerkte – einen schwarzen Schatten. Es waren die dunklen Umrisse eines nach Norden segelnden großen Vogels, eines Wesens, das ihm bestens bekannt

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