Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
nicht zulassen ihn bei seinem Ehrgeiz zu packen. Nein, an ihn war nicht heranzukommen wie an Zephon. Aber vielleicht an jemand anderen.
»Ich muss mich für die Unhöflichkeit meines Hauptmannes entschuldigen«, fuhr Sethur fort. »Aber er hat wenig Verständnis für die Sitten anderer Völker. Auch für die Unannehmlichkeiten, die Euch möglicherweise durch meine Einladung entstanden sind, möchte ich um Nachsicht bitten.« Sein Blick wanderte zu Yonathans verletztem Fuß.
»Auch die Sitten Eures Landes sind uns fremd, edler Sethur«, stimmte Yonathan in den Tonfall des hoch gewachsenen Temánahers ein. »In unseren Regionen werden Einladungen anders überbracht. Wollt Ihr uns nicht verraten, was der Grund Eurer Gastfreundlichkeit ist?«
Diesmal ballte Gavroq die Fäuste. Der plötzliche Umschwung im Tonfall des kleinen Gefangenen hatte ihn verunsichert und er vermutete, dass Yonathans Höflichkeit nur eine versteckte Form des Spotts war. Yonathan spürte, wie des Hauptmanns Zorn langsam, aber sicher zunahm.
Sethur lächelte amüsiert. Ihm war der herausfordernde Unterton in Yonathans Stimme nicht entgangen. Mit unbewegter Miene erwiderte er: »Ich bin nur ein Bote meines Meisters. Er lädt Euch ein sein Gast zu sein.«
»Sein Gast?«, wiederholte Yonathan ungläubig. Seine Augen wanderten zu Zirah hinüber und trafen sich mit ihrem Blick aus gefrorener Bosheit. »Dann ist es also wahr, was diese Kreatur dort vorhin gesagt hatte.«
»Ihr dürft nicht so streng mit Zirah sein. Sie ist eine treue Dienerin – auch wenn sie manchmal nicht den rechten Ton trifft.«
Mit einem Seitenblick auf Gavroq bemerkte Yonathan: »Mir scheint, das gehört zur Grundausbildung Eurer Gefolgsleute.« Befriedigt registrierte er, dass die Augen des Hauptmanns Feuer zu versprühen begannen. »Aber sagt, Sethur, nicht ich bin es doch, an dem Bar-Hazzat interessiert ist – auch wenn Zirah das vorhin behauptet hat. Er will doch nur diesen Stab hier haben.«
»Ihr seid für Euer Alter sehr weise, mein junger Freund.«
»Dann mache ich Euch einen weisen Vorschlag. Hier«, Yonathan hob den Stab und hielt ihn Sethur entgegen, »nehmt ihn und bringt ihn Eurem Herrn. Ihr braucht mich und meinen Freund nicht dazu.«
Yomi riss erschrocken Mund und Augen auf und kniff sie im nächsten Moment wieder zu. Angespannt wartete er, dass etwas Außergewöhnliches geschähe.
Auch Sethur zeigte sich einen Augenblick überrascht von diesem Winkelzug Yonathans. Doch schnell verbarg er seinen Schreck wieder hinter dem versteinerten Lächeln. »Ihr seid nicht nur weise, sondern auch listig. Aber Bar-Hazzat hat mich gewarnt. Er weiß um die Macht Haschevets, und er hat ausdrücklich verfügt, dass nur Ihr den Stab nach Temánah tragen sollt.«
Yonathan zuckte die Schultern und fragte gleichmütig: »Wie soll es jetzt also mit uns weitergehen?«
»Mit euch?«, erwiderte Sethur belustigt. »Nun, Ihr, mein junger Freund, werdet uns auf dem schnellsten Wege zu unserem Schiff begleiten. Mit der Narga werden wir dann nach Temánah segeln, und Ihr werdet in Gedor eine Audienz bei Bar-Hazzat erhalten – eine Ehre, die nur wenigen zuteil wird. Was Euren Freund betrifft…« Sethur hatte Yomi bisher kaum wahrgenommen. Jetzt runzelte er die Stirn. »Weshalb trägt er denn diese eigenartige Bemalung im Gesicht? Nun, das tut jetzt nichts zur Sache. Bar-Hazzat hat nichts von weiteren Besuchern gesagt. Ich werde ihn Gavroq übergeben. Er kennt erstaunlich viele Methoden sich mit ungeladenen Gästen die Zeit zu vertreiben.«
»Mit anderen Worten: Ihr wollt ihn töten?«
Sethur verzog das Gesicht, als hätte ihn jemand mit einer Nadel gestochen. Beinahe entschuldigend erklärte er: »Ich nehme an dieser Art von Zeitvertreib nicht teil – das ist mehr etwas für die Soldaten, die neben ihrem Kriegshandwerk sonst nur wenig Ablenkung finden.« Während Gavroqs Miene von krankem Grinsen verzerrt wurde, kehrte das kalte Lächeln auf Sethurs Gesicht zurück und er fügte beiläufig hinzu: »Es soll jedoch vorgekommen sein, dass bei den Zerstreuungen Gavroqs einige Spieler… nun, sagen wir, es vorgezogen haben sich durch vorzeitiges Ableben zurückzuziehen.«
»Ein sehr milder Ausdruck für Mord!«, begehrte Yonathan auf. Ihm war klar, dass er keine Zeit mehr verlieren durfte. Die »Spiele« konnten schon bald beginnen. Und die Soldaten waren gezwungen, bis zum Morgengrauen damit fertig zu sein. Sethur würde sicherlich keinen Müßiggang dulden und schon früh zum
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