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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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fliehen vor ihren unnachgiebigen Verfolgern. Unter seinen Stiefeln wurde der Grund weich. Jedes Mal, wenn er oder Yomi die Füße hoben, lösten sich diese mit einem lauten Schmatzen aus dem Morast. »Lass uns dort entlanglaufen.« Er bedeutete dem Freund, im rechten Winkel abzubiegen. »Vielleicht gelingt es uns die Verfolger in den Sumpf zu locken, während wir hier am Rand entlanglaufen.«
    »Dieser schwammige Boden verwischt alle unsere Spuren. Wir könnten Glück haben«, stimmte Yomi zu.
    Yonathan bemerkte, dass die Zunge seines Freundes nur mit Mühe die Worte formen konnte. Ihm selbst erging es nicht besser. Er fühlte sich müde. Ab und zu flackerten verschwommene Bilder vor seinen Augen auf. Eigentlich kümmerten ihn seine Verfolger nur wenig. Seine Füße wurden immer schwerer. Mit jedem Schritt durch den Sumpf schien dieser sich fester an seine Beine zu klammern. Aber er durfte jetzt nicht aufgeben. Sie mussten weiter, mussten fliehen.
    Die Zeit war bedeutungslos geworden. Yonathan stapfte taumelnd vor sich hin. Sein verletzter Fuß schmerzte nicht mehr. Durch die Äste hindurch sah er die Lichter der Verfolger. Das grüne Feuer der Fackeln tanzte auf und nieder. Ab und zu verwandelte es sich in das Bild einer dahinfliegenden Landschaft. Aber auch dieser Anblick konnte seine Müdigkeit nicht vertreiben. Er schaute sich nach Yomi um. Sein Freund war nicht mehr da. Aber was machte das schon? Er musste weiter; musste fliehen.
    Das Licht der Fackeln in der Ferne war verblasst, das Rufen der Männer zu einem Säuseln verschmolzen und schließlich im Tröpfeln des Regens untergegangen. Jetzt war er endlich allein
    – allein mit dem Sumpf. Der Sumpf freute sich schon auf ihn. Yonathan freute sich auch. Doch erst mal musste er schlafen, sich ausruhen. Er ließ sich auf die durchgeweichte Erde nieder, umschlang den Stab Haschevet mit seinen Armen und legte den Kopf darauf.
    Wieder sah er die vorbeihuschende Landschaft: Wiesen, Felder, Hecken, kleine Mauern. Ab und zu ein gleißendes Licht, das alles überstrahlte. Dann sah er auch einen Jungen. Es war der Junge. Diesmal saß er nicht in seinem mit Rädern versehenen Stuhl. Er kauerte schlafend auf einer hölzernen Bank – allein in einer eigenartigen großen Holzkiste. An ihrem gegenüberliegenden Ende war die Kiste offen und gab den Blick auf die dahinfliegende Natur frei. Ja, »fliegen«, das war das richtige Wort. Die große Kiste mit dem Jungen darin musste fliegen, so schnell schössen Wiesen und Felder an ihr vorüber.
    Yonathan wünschte, selbst in einer solchen Kiste zu sitzen und lautlos die Landschaft unter sich dahingleiten zu lassen. Jetzt konnte er endlich ruhen. Der Sumpf würde ihn umfangen und vor seinen Verfolgern schützen. Nun konnte er sich in dieses Bild vertiefen mit diesem schlafenden Jungen in dieser dahinfliegenden Landschaft. Jetzt musste er nicht mehr weiter, musste nicht mehr fliehen.
    X.
     
     
     
    Jabbok House
     
    Zaghaft öffnete Jonathan ein Augenlid. Jemand hatte ihn gerüttelt. Was er – zunächst verschwommen, dann immer klarer werdend – sah, ließ ihn erschrocken hochfahren. Wo war er?
    Sein Kopf hatte an einer Fensterscheibe gelehnt. Eine Landschaft flog vor seinen Augen vorüber. Genau betrachtet waren es Büsche und Bäume, die hier und da den Blick auf die dahinter liegenden Wiesen und Felder freigaben. Ab und zu blitzte die strahlende Sonne durch die staubige Fensterscheibe und tauchte das Abteil in eine blendende Flut aus Licht. Unsicher musterte er seine Umgebung. Ja, zweifellos befand er sich in dem Abteil eines Eisenbahnzuges – daher auch das ständige Rütteln. Doch wie war er hierher gekommen?
    Jonathan konnte niemanden fragen. Er saß ganz allein in dem Eisenbahnabteil. Auf der Ablage über sich entdeckte er seinen braunen Lederkoffer. Verwirrt kniff er die Augen zusammen und öffnete sie dann wieder. Vergebens. Dies war kein Traum, den man abschütteln konnte. Er befand sich in einem Bahnabteil. Mit dieser Situation musste er sich abfinden.
    Aber er konnte nicht. Angestrengt suchte er in seinem Gedächtnis nach Erklärungen. Er entsann sich noch des Samstages, als Dr. Dick ihn untersucht hatte. Sein Erinnerungsvermögen hatte ihm einen Streich gespielt, sodass ihm eine ganze Woche abhanden gekommen war. Ja, natürlich! Das musste die Erklärung sein. Dr. Dick und Sir Malmek hatten entschieden, dass er nach Hause fahren solle, um sich zu erholen.
    Abermals blickte Jonathan aus dem Fenster. Jetzt erkannte er

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