Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
spielen eine große Rolle. Aber auch Theater und Museen gibt es hier bereits. Unser Haus trägt italienischen Charakter; es ist reich mit Marmor verziert. 'Kennst du das Haus, auf Säulen ruht sein Dach' - ist es wirklich erst vier Wochen her, daß ich dieses Lied daheim bei Euch sang? Ach nein, jetzt bin ich ja hier daheim. Dem Cäsar sowohl wie mir muß ich es soundso oft am Tage sagen, sonst glauben wir es alle beide nicht. Manchmal macht er mich mit seinen feuchten Hundeaugen ganz traurig. Aber wenn Milton kommt, ist alles wieder gut. Miltons Mutter verwöhnt mich fast noch mehr, als er selbst. Von allen Verwandten bekam ich große Brillanten als Empfangsgeschenk. Alle, alle waren sie in rührender Weise bemüht, mir das Einleben zu erleichtern. Von Miltons Eltern an bis zu Teresa, der liebenswürdigen, alten Mulattin, bis zu Chico, dem ältesten Neger hier im Hause. Ich glaube, sein Vater war noch Sklave bei den Tavares.«
»12. Juni
Winter ist es jetzt hier. Bei Euch in Lichterfelde blühen die Rosen. Die Wintertemperatur beträgt hier immer noch etwa 18 Grad. Dabei frieren die Leute, denn Ofen und Heizungen kennt man hierzulande nicht. Ich fühle mich viel frischer bei dieser Temperatur. Ein Vierteljahr bin ich nun schon in Brasilien. Mir ist, als läge ein ganzes Menschenleben dazwischen, seit ich Europa verlassen habe. Ich habe mich jetzt vollständig in Sao Paulo eingelebt. Sogar das Nationalessen, das jeden Mittag und jeden Abend bei reich und arm auf den Tisch kommt, schwarze Bohnen mit Tomatenreis, worauf man sich noch 'Farinha', eine Art Grieß streut, habe ich essen gelernt. Ich muß meinen Magen hier vollständig umstellen. Denn das Essen spielt eine große Rolle und dauert für gewöhnlich eine Stunde.
Es ist jedesmal ein wahres Hochzeitsessen, das man herunterfuttert. Die Mittagsmahlzeiten finden bereits um elf Uhr statt. Denn man steht früh schon um sieben auf. Milton nimmt das Mittagsbrot meistens unten in Santos ein, wo sich das Geschäftsbüro befindet und wo er die Kaffeebörse besucht. Hansi, jetzt sehe ich es Dir an, daß du gern wissen möchtest, wie solch ein brasilianisches Menü sich zusammensetzt. Ich kenn' doch mein verfressenes Brüderchen. Also, ich will Euch erzählen, was heute mittag bei uns auf den Tisch kam: Zuerst gab's eine gute Suppe. Dann eine Hühnerpastete und eine Krabbenpastete mit rohen Oliven. Die Pasteten versteht Teresa meisterhaft zu bereiten. Nun folgten die obligaten Bohnen, die ich aber meistens vorübergehen lasse. Das gebratene Huhn, 'Gallinha' genannt, mit 'Farofa', einer aus gebräuntem Mehl, Tomaten, Zwiebeln und Oliven bestehenden Beilage, mundete mir um so besser. Das Beef mit pommes frites, das danach serviert wird, ist meist hart wie Schuhleder. Sie braten es am Rost. Cäsar pflegt sich daran gütlich zu tun. Nun kommt das Allerbeste: die 'Doces' - Süßigkeiten. Die spielen hier die größte Rolle und sind dementsprechend auch vorzüglich. Heute gab es 'Pecegada', eine Art festes Pfirsichgelee, zu dem die Brasilianer einen ganz zarten, geruchlosen Käse essen. Mir erscheint diese Zusammenstellung immer noch recht eigenartig. Den Schluß macht ein Täßchen schweren Mokka mit sehr vielem Zucker. Manchmal denke ich, von einem solchen Menü leben wir daheim in Europa eine ganze Woche. Wie gern möchte ich meiner Vronli, die sich stets den Kopf zerbrechen muß, was sie Billiges zu Mittag kochen könnte, von diesem Überfluß etwas zukommen lassen. Abends ist es beinahe noch reichlicher und großartiger, weil die Männer daran teilnehmen. Teresa und ihre drei Negerinnen haben den ganzen Tag nur zu kochen und zu braten. Du siehst, meine kleine Muzi, es hätte wirklich keinen Sinn gehabt, wenn ich zu Hause kochen gelernt hätte. Ich habe die Küche hier noch gar nicht betreten.«
»Ribeiräo Preto, 3. Dezember
Wir sind jetzt auf unserer Fazenda, das ist unsere Kaffeeplantage, wo wir ein Sommerhaus haben. Bei uns ist nämlich augenblicklich Hochsommer. Ich muß mir immer wieder klarmachen, daß wir im Weihnachtsmonat sind. Unsere Fazenda liegt etwa acht Bahnstunden von Sao Paulo entfernt. Ich war sehr begierig auf die Kaffeeplantage und eigentlich heimlich enttäuscht. Meilenweit erstrecken sich die Anpflanzungen, in gleichmäßigen Abständen säuberlich angelegt. Ich hatte mir ein rötliches Blütenmeer vorgestellt, etwa wie deutsche blühende Heide. Aber von Blüten sieht man nicht viel. Nur die glänzenden, immergrünen Blätter wie aus Leder, unter
Weitere Kostenlose Bücher