Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
das wäre was für Dich gewesen. Ich bin nicht seekrank geworden, obwohl mir manchmal zumute war, als ob ich gelb und grün nicht mehr voneinander unterscheiden könnte. Milton sagt, ich hätte mich sehr tapfer gehalten. Aber Cäsar, den armen Kerl, hat's arg gepackt. -«
»Bahia, den 7. März
Nun haben wir den ersten brasilianischen Hafen erreicht. Das ist ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn man wieder festen Boden unter den Füßen hat. Also jetzt wären wir 'drüben'. Die Küstenflora ist hier märchenhaft schön. Wir pflücken uns von den Bäumen Orangen und Bananen, so groß, so wundervoll, wie ich sie in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Bahia ist die Apfelsinenstadt, wo es die größten und herrlichsten Früchte gibt. Das wächst hier alles wild, wie bei uns im Grunewald die Kiefern. Mit einem Fahrstuhl geht es vom Hafen in die obere Stadt. Das ärmere Viertel ist eine richtige Negerstadt. Nackte, kleine Negerkinder krabbeln überall im Sande vor den Hütten herum.«
»Rio de Janeiro, den 12. März
Der zweite Hafen, an dem wir anlegen. Rio de Janeiro, die Palmenstadt, ist das schönste, was ich bisher gesehen habe, mit seinem jäh aus dem Meer aufsteigenden Felsen, seinen Prachtbauten, und vor allem mit seinen herrlichen Palmen. Man glaubt ein Märchen zu erleben, wenn man abends an dem von Tausenden und aber Tausenden von Lichtern bestrahlten Kai im Auto entlangfährt. Ein Autokorso ist das jeden Abend. Das ist eine Buntheit von Rassen, ein babylonisches Sprachdurcheinander und eine farbenprächtige Eleganz. Die Damen in seidenen Balltoiletten in den leuchtendsten Farben mit Pelzhüten bei einer Tropentemperatur von beinahe 40 Grad. Und plötzlich ist das Weltgetriebe und Gebrause wie abgeschnitten. Man ist draußen. Im Mondschein stehen Palmen und Kakteen, riesengroß, ganz starr und leblos, ganz tot und still. Das wirkt herzbeklemmend. Aber dann ist hier wieder ein Blühen, ein Duft und eine Farbensymphonie von wunderbaren, fremdartigen Blüten, Schlingpflanzen, Riesenfarnen und seltsamen Kakteen. Im 'Wald', in dem wir mit dem Auto spazierenfuhren - kultivierter Urwald -, schaukeln sich Papageien und Kolibris in den grellsten Farbentönen. Nicht einmal Cäsar wagt, auf sie Jagd zu machen. Er ist etwas bedrückt, seitdem wir das Tropenland betreten haben. Ob es die Backofenhitze ist oder die fremde Pflanzen- und Tierwelt, er fühlt sich als Europäer und findet sich vorläufig hier noch nicht zurecht. Manchmal denke ich, er weint seinem verlorenen Vaterlande nach. Ich selbst bin noch ganz betäubt, ganz verwirrt von all dem Neuen, Fremden. Mir ist, als sei hier alles, ich selbst einbegriffen, auf den Kopf gestellt. Das macht wohl die Temperatur, an die ich mich erst gewöhnen werde. Dabei ist es so unwirklich schön hier, daß man froh und dankbar sein muß, wenn man all das genießen darf. Cäsar ist eben eine unvernünftige, undankbare Kreatur.«
»Sao Paulo, den 25. März
Nun sind wir daheim. Das ist eine seltsame Empfindung, wenn einen alles so fremd anmutet. In Santos, dem bekanntesten Kaffeehafen Brasiliens, empfing uns Miltons Vater, der sehr gut und lieb zu mir war. Als er seine Kinder nach der langen Trennung in die Arme schloß, mußte ich weinen. Da nahm er mich ebenso zärtlich an sein Herz. Und wenn wir uns auch sonst zuerst schwer verständigten, das habe ich begriffen, daß er mich als sein Kind begrüßte. Mit der Bahn in Weißleinen bezogenen Rohrsesseln fuhren wir von Santos über das Gebirge hierher nach Sao Paulo. Es war eine wunderbare, dreistündige Fahrt. Diese von den Engländern erbaute Gebirgsbahn vom Hafen nach Sao Paulo soll die großartigste Bahn der Welt sein. Und nun sind wir daheim. Wir wohnen in der vornehmsten Gegend Sao Paulos, in der Avenida Paulista. Sao Paulo ist eine Bergstadt, die zwischen zwei Bergen liegt. Die Villenstraßen ziehen sich die Berghänge hinauf. Zwei gewaltige Viadukte sind von Berg zu Berg über die untere Stadt geschlagen. Dadurch bietet Sao Paulo ein ganz eigenartiges Bild. Neben der Tropenvegetation gibt es hier viele herrliche Obstpflanzungen, besonders Pfirsich- und Feigenbäume. Die Blumen, teilweise europäische Blumen, die hier eingeführt sind, werden fünf-, sechsmal so groß wie bei uns. Sao Paulo ist eine ganz nach europäischem Muster angelegte Kolonie, in der natürlich vorwiegend Europäer ihren Wohnsitz haben. Da gibt es große Warenhäuser, wo alles für unsere Begriffe entsetzlich teuer ist. Das Kino und das Kaffeehaus
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