Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Nein, diese Kinder!
»Trude - Trude - unsere Wäsche wird naß!« Zum soundsovielten Male eilte Frau Annemarie von ihrem Erkerplätzchen hinaus in den Hofgarten hinter dem Hause. Hinterdrein Trude, das Hausmädchen, das mit den jungen Beinen kaum der Herrin zu folgen vermochte. Wie eine Zwanzigjährige lief und hantierte Frau Annemarie heute noch, obwohl sie schon bereits über die vierzig war. Das glaubte ihr kein Mensch, wenn man sie mit ihrer frischen, resoluten Art schaffen sah, wenn man ihr jugendfrisches, herzerquickendes Lachen hörte. Und sie selbst vermochte es am wenigsten zu fassen. Fühlte sie sich doch noch so jung.
»Frühling, Frühling wird es nun bald!« - Wie Lerchengetriller erklang es durch den noch recht wenig frühlingsmäßigen Garten.
»Ursel - Urselchen - da bist du ja, Kind.« Frau Annemarie ließ ihre Wäsche im Stich und lief in den Vorgarten, von woher die Mädchenstimme ertönte. »Na, mein Mädel, wie war's? Ist dir der Abschied von der Schule schwergefallen?« Prüfend schaute die Mutter in das liebreizende, noch kindlichrunde Mädchenantlitz.
»Tag, meine kleine Muzi. Da wären wir also glücklich raus aus der Penne! Endlich - frei! Als mir Paukert die Gesangsauszeichnung überreichte - eine Schubertbiographie, Mutti, mächtig nobel! - und zu mir sagte, daß ihm die Stütze des Soprans sehr fehlen würde, da hätte besagte Stütze beinahe einen Luftsprung vollführt.« Ursel holte den versäumten Luftsprung hier im Garten nach, wobei sie die Mutter um die Hüfte packte. »Ursel - Mädel - du reißt mich ja um. Eine Gesangsauszeichnung hast du erhalten? Nun, eine Anerkennung für deine wissenschaftlichen Leistungen wäre mir eigentlich lieber gewesen. Wie ist das Abschiedszeugnis ausgefallen, Kind?«
»Ungerecht - im höchsten Grade ungerecht. Habe ich in Mathematik etwa 'gut' verdient? Noch nicht mal 'genügend'. Und im Betragen hätte ich mir auch kein lobenswert gegeben, wo ich die werten Herrschaften so und so oft durch meine Streiche mit Entsetzen erfüllt habe. Ich glaube, die freuen sich genau so, mich loszuwerden, wie das umgekehrt der Fall ist. Sicher haben sie mir aus Dankbarkeit solch ein anständiges Abgangszeugnis verabreicht.« Ursel zog das zusammengefaltete Zeugnis aus der Tasche. »Ei, sieh mal an - da bin ich wirklich überrascht, aber Vronlis Abgangszensur war natürlich noch besser«, meinte die Mutter lächelnd, nachdem sie es studiert hatte. »Muzi - unser Tugendmoppelchen darfst du nicht zum Vergleich mit mir heranziehen. Vronli ist stets das genaue Gegenteil von mir. Brav und sittsam - brrr! Erinnere dich an deine eigenen Schuljahre, geliebtes Muzerle - Großmuttchen hat mir neulich unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, daß du gerade solch ein Ausbund gewesen sein sollst wie ich. Hahaha - der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum.«
»Ursel, was fällt dir ein! Dein loses Mündchen galoppiert schon wieder mal ohne Zaum und Zügel mit dir davon.« Frau Annemarie versuchte vergeblich, die strenge Mutter vorzutäuschen.
»I du meine Güte, der Herr Professor ist ja schon da!« Trude ließ Wäsche Wäsche sein und jagte ins Haus, eiligst den Tisch zu decken. Denn in bezug auf Pünktlichkeit verstand der Herr keinen Spaß, so seelengut er auch sonst war.
Das Mittagessen vereinigte die Professorenfamilie. Auch der Filius hatte sich dazu eingefunden. Ein kräftiger Bursch mit krausem Blondkopf und treuherzigen blauen Augen.
»Stelle euch gehorsamst einen Oberprimaner vor«, meldete er.
»Will ich mir auch ausgebeten haben - wie ist das Versetzungszeugnis ausgefallen, Hansi?« erkundigte sich der Vater.
»Für bescheidene Ansprüche ausreichend.« Hans pflegte seine Ansprüche betreffs seiner Leistungsfähigkeit stets auf ein bescheidenes Minimum herabzuschrauben. Er strengte sich nicht allzugern an, der junge Herr.
»Wo hast du die Zensuren?« Der Mutter kam die Sache etwas verdächtig vor.
Hans suchte in sämtlichen Jackett-, Westen- und Hosentaschen, obwohl er ganz genau wußte, daß sie sich dort unmöglich vorfinden konnten.
»Wird wohl noch im Mantel stecken, der Wisch«, meinte er schließlich gleichmütig, sich den Teller zum zweiten Male füllend.
»Du, hör mal, Hansi, ich fürcht' halt, du hast die richtige Bezeichnung für das Schriftstück gebraucht.« Der Vater zog die Augenbrauen hoch. »Was für eine Zensur hast du in Latein und Griechisch?«
Solch eine direkte Frage war höchst peinlich. Besonders wenn man es sich gerade
Weitere Kostenlose Bücher