Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
nicht mit ihrer Liebe zu dem Brasilianer genau so gehen würde. Er gab seine Einwilligung zu diesem Bündnis nicht. Er hatte die Verpflichtung als Vater, sein Kind unter solchen Voraussetzungen nicht in die weite Welt hinauszulassen. In zweieinhalb Jahren war sie mündig. Dann konnte sie tun und lassen, was sie wollte. War ihre und seine Liebe stark genug, um Zeit und Trennung zu überdauern, nun gut, dann mochte sie dem Brasilianer über den Ozean folgen. Inzwischen hatte sie ja ihre Kunst. Was man einmal begonnen hat, sollte man auch fortführen. Nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Das war der Bescheid, den Frau Annemarie erhielt. Sie ließ ihn ruhig auspoltern, nur ab und zu streichelte sie ihm beruhigend die Hand. Dann aber sprach sie begütigende Worte. Sie, die mit allen Fasern ihr Kind in der Heimat hätte halten mögen, wurde sein beredter Fürsprecher. Gegen sich selbst, gegen ihr Herz mußte sie sprechen. Aber sie tat es mit einer Selbstentsagung, wie es nur eine Mutter vermag.
»Hm - du sagst, die letzten Wochen des Zwiespalts und der Kämpfe hätten Ursel gereift, hätten ihre Liebe erstarken und reifen lassen. Schön. Wer gibt aber die Garantie, daß dieser junge Herr aus Brasilien nicht halt nur einer flüchtigen Laune folgt, daß seine Liebe zu ihr fest genug ist, um für das ganze Leben standzuhalten?«
»Er ist ein prächtiger Mensch mit warmem Herzen und unserer Ursel würdig, Rudi«, entgegnete Frau Annemarie voller Überzeugung.
»Es ist ein anderer Volksstamm, Kind, anderes Land, andere Sitten, andere Veranlagungen und Gefühle. Heute brennen sie lichterloh, morgen wissen sie nimmer was davon. Wer bürgt uns für das Glück unseres Kindes?«
»Der da oben«, sagte Annemarie leise. »Der, der sie auch im fernen Lande schützen wird.« »Annemarie, Frauli, ich fühl' es halt in mir, daß es dir ganz gewiß nicht leicht wird, so zu mir zu sprechen. Aber sag, mein Herz, bist du dir denn darüber klar, was du in deiner grenzenlosen Opferbereitschaft von mir erbittest? Jammerst du nicht schon oft genug, daß du's Vronli gar so selten zu sehen bekommst, daß es jedesmal eine Reise nach Wedding sei? Und nun willst du dein Nesthäkchen gar bis nach Brasilien hingeben! Weißt du, was das bedeutet?«
Frau Annemarie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Durch ihre Finger rieselten Tränen. Energisch wischte sie sie fort. »Wenn es zum Glück unseres Kindes ist, müssen wir uns auch darin fügen, Rudi«, sagte sie in festem Tone.
Da hatte Rudolf Hartenstein seine tapfere Frau in die Arme geschlossen. »Möge es zum Glück unseres Kindes sein!«
Dann folgten viele Unterredungen des Professors. Die erste mit dem Fräulein Tochter, die mit den Worten begann: »Also auswandern willst halt, Ursele? Weißt du denn auch, daß du aus Brasilien nimmer davonlaufen kannst wie von der Bank und von deiner Kunst?« Beide Arme hatte Ursel um den Hals des Vaters geschlungen und unter Glückstränen versichert: »Von meinem Mann werde ich ganz gewiß nicht auskneifen wollen, Vaterle. Und meine Kunst, die nehme ich mit 'rüber nach Brasilien.«
»Na, dann schick mir meinen Schwiegersohn halt her, Kind, daß ich ihm die Flötentöne beibringe. Kommt hier über den großen Teich geschwommen und kapert mir mein Mädel fort.«
Ahnte Ursel es, wie schwer dem Vater sein Scherzen wurde?
Die zweite Unterredung war ungleich ernster. Aber als sie beendet war, schüttelte der Professor Milton Tavares die Hand in treuväterlicher Zuneigung. »Du hast recht, Annemarie«, sagte er danach zu seiner Frau, »es ist halt ein prächtiger Mensch, der für Ursels Glück bürgt, soweit man das vermag.«
Und nun war Ursel Braut. Unter dem Weihnachtsbaum feierte man Verlobung. Hans war nicht nur sprachlos, nein, geradezu empört. »Was - nach Brasilien willst du mit Milton? Dabei hat er fest versprochen, mich mitzunehmen. Solch eine Gemeinheit!« schimpfte er zur größten Belustigung der Beteiligten.
»Ja, Hansi, frag doch Milton, ob er dich vielleicht statt meiner mit hinübernehmen will«, lachte Ursel schelmisch.
Aber ihr Verlobter verzichtete darauf, die Antwort in Worten zu geben. Er zog seine Ursel fest in seine Arme, ganz fest, als könne sie ihm wieder koboldartig entschlüpfen. Der Vater jedoch drohte dem Studenten: »Untersteh dich, Junge, und schiel mir halt etwa nach Amerika 'nüber. Da wird nimmer was draus. 'S ist halt grad' genug, wenn man eins hergibt.«
Bei allen hatte Ursels Verlobung mit dem Brasilianer
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