Nette Nachbarn
einen
Termin zu vereinbaren. Montags hatte er immer viel zu tun, erzählte mir seine
Sekretärin, aber um zwei Uhr könnte er mich noch einschieben.
Ich legte auf und warf einen Blick auf meine
Armbanduhr: fünf nach elf. Drei Stunden totzuschlagen. Die konnte ich ebensogut
in der Nachbarschaft verbringen. Ich drehte mich wieder zum Tresen um und sah
zu, wie der alte Mann den Preis einer Schachtel Zigaretten in die Kasse
eintippte. Aus einem Transistorradio auf dem Regal hinter ihm plärrte
Rock-Musik, und als der Song zu Ende war, ertönte der Name der Radiostation:
KSUN, das Licht der Bucht. Es war die Station, für die mein Freund Don
arbeitete — eine wilde, laute, ohrenzerreißende Frequenz. Ich überlegte, warum
der alte Mann sein Trommelfell solcher Gefahr aussetzte.
Nachdem der Kunde gegangen war, ging
ich zum Tresen hinüber. »Verzeihung, sind Sie der Besitzer?«
»Ja, Madam. Hung Tran, zu Ihren
Diensten. Was kann ich für Sie tun?« Sein Akzent war stark, aber seine
Aussprache klar und deutlich.
»Mein Name ist Sharon McCone, Mr. Tran.
Ich bin Privatdetektivin und arbeite für ein paar der Leute, die im Globe
Apartment Hotel wohnen.«
Er nickte, verriet keinerlei
Überraschung über meinen Beruf.
»Kennen Sie jemanden von den Bewohnern
des Globe?« fragte ich.
»Ja, das tue ich. Dies hier ist das
nächste Geschäft. Viele von ihnen kaufen bei mir ein.«
Ich sah mich um. Es gab hier die
Standardprodukte, die man in jedem Geschäft der Stadt finden konnte, aber
darüber hinaus noch eindeutig orientalische Sachen — große Säcke mit Reis,
Dosen mit Sojasoße, bok cboy. »Dann wissen Sie vielleicht auch von den
furchterregenden Ereignissen, die im Globe stattgefunden haben?«
»Ja, einige der Leute haben mir davon
erzählt. Hat man Sie angestellt, um etwas darüber herauszufinden?«
»Ja.«
»Ich hoffe, Sie können ihnen helfen.«
Seine Augen hinter der goldgeränderten Brille waren höflich, aber emotionslos.
»Das hoffe ich auch. Mr. Tran, was
glauben Sie, wer dafür verantwortlich ist, daß diese Menschen sich so
ängstigen?«
Jetzt schien er überrascht. »Ich? Ich
habe keine Meinung.«
»Aber Sie haben doch gewiß etwas
gehört. Die Menschen reden. In Ihrer Position müssen Sie eine Menge von dem
wissen, was in der Nachbarschaft vor sich geht.«
Vor dem Bauch, über seinem grauen
Mantel, faltete er die wächsern aussehenden Hände zusammen. »Die Leute reden,
das stimmt, ja. Aber was sie sagen, ergibt oft keinen Sinn.«
»Dennoch wäre es eine große Hilfe für
mich, zu wissen, was sie sagen.«
Sein Blick wanderte zur Tür. Das
Mädchen in Shorts stand da, ordnete ihre kunstvoll gebleichte blonde Mähne mit
Hilfe ihres Spiegelbildes in der Schaufensterscheibe. Mr. Tran verzog die
Lippen, wandte sich dann wieder mir zu. »Sie sagen vieles. Manche glauben, es
wäre der Besitzer des Hauses, der versucht, die Leute zu vertreiben, damit er
die Wohnungen teurer vermieten kann.«
»Glauben Sie das?«
»Ich habe diesen Besitzer gesehen. Das
ist keiner, der sich in Kellern versteckt.«
»Sondern?«
»Man sagt, es sind die jungen Männer,
die bui doi.«
»Bui doi ?«
»In meiner Sprache heißt das ›der Staub
des Lebens‹. Sie würden sie als Banden oder Gangs bezeichnen.«
»Straßenbanden, jugendliche
Verbrecher?«
»Das sagen die Außenstehenden. Sie
verstehen nicht, daß wir in unserer Kultur keine Gangs wie die von Ihren
schwarzen oder chinesischen Bürgern haben. Wenn das tatsächlich das Werk der bui
doi ist, dann ist es viel ernster, als wenn es sich um Teenager handeln
würde. Aber ich wüßte nicht, welches Interesse die an dem Hotel haben sollten.«
Ich machte mir im Geiste eine Notiz,
daß ich einen Mann anrufen wollte, der im Police Department Gang Task Force
arbeitete und den ich von früher kannte. Ich wollte mehr über diesen
sogenannten ›Staub des Lebens‹ wissen.
»Was sagen die Leute sonst noch?«
erkundigte ich mich.
»Daß es sich um das Werk eines Kranken
handelt. Davon gibt es viele in der Gegend.« Wieder wanderte Mr. Trans Blick
zur Tür, aber das Mädchen war verschwunden.
»Eine bestimmte Person in Verdacht?«
»Man spricht von den Prostituierten und
ihren Zuhältern, aber das ist natürlich Unsinn. Die kümmern sich doch nur um
Geld. Dann verdächtigt man auch noch Bruder Harry, den Straßenprediger.«
»Den Mann mit den Tafeln?«
»Ja. Er behauptet, ein Mann Gottes zu
sein, aber er steckt voll Haß.«
»Wieso?«
»Seine Botschaft ist eine
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