Nette Nachbarn
Vorschriften erteilen. Sie sind völlig legal,
aber sie machen das Leben hier sehr hart.«
»Zum Beispiel?«
»Nun, erstens einmal dürfen die Kinder
weder in den Gängen noch in der Halle spielen. Das schafft für Mieter mit
aktiven Kindern eine schwierige Situation. Auch die Treppen sind ihnen
offiziell verboten. Und das ist natürlich ganz unmöglich, wenn der Fahrstuhl
nicht funktioniert.« Zorn sprach aus Carolyns Stimme; selbst in dem dämmrigen
Licht konnte ich sehen, daß ihr Gesicht gerötet war.
»Ich nehme also an, daß die
Vorschriften nicht immer befolgt werden; schließlich haben Billy und Jenny die
Schatten im Treppenhaus gesehen.«
»Natürlich werden sie nicht befolgt!
Sie sind lächerlich. Und dann die Sache mit dem Dach, daß es versperrt ist — da
oben gibt es eine Menge Platz und auch hohe Geländer, so daß niemand fallen
kann. Es wäre der ideale Ort für die Kinder, wo sie spielen könnten, und
außerdem könnten die Leute dort oben Gemüse in Containern anpflanzen. Die Mieter
haben sich zusammengetan und LaFond gebeten, es benutzen zu dürfen. Seine
Antwort? Ein glattes ›Nein‹, durch Mary Zemanek ausgesprochen.«
»Was ist mit dem Weihnachtsbaum? Würde
er wirklich verlangen, daß er entfernt wird, wie Mrs. Zemanek angedeutet hat?«
»Wahrscheinlich würde er ihn
höchstpersönlich in den Abfall werfen. Und außerdem die Dekoration von der
Feuerleiter reißen. Für die Roy LaFonds dieser Welt sind die Vangs und all die
anderen Leute hier einfach keine Menschen mit normalen Bedürfnissen. Sie sind
mietezahlende Einheiten. Und wenn das Gesetz es nicht verhindern würde, dann
könntest du wetten, daß sich ihre Miete im letzten Jahr verdreifacht haben
würde.«
Ich beobachtete Carolyn, überrascht von
ihrer Vehemenz. Ich hatte sie unter schlimmsten Umständen erlebt, und sie war
immer rational und beherrscht geblieben. Zu beherrscht vielleicht. Ich war
froh, dieses Feuer unter ihrem kühlen Äußeren aufblitzen zu sehen.
In der Stille fing sie an, traurig den
Kopf zu schütteln. »Verzeih mir, aber ich werde so wütend. Ich sehe bei meiner
Arbeit zu viele Menschen wie die Vangs, die so viel durchgemacht haben. Sie
sind aus ihrer Heimat geflohen, haben alles verloren, und doch kämpfen sie
weiter. In meinen Augen sind sie Helden; für Roy LaFond, dem in seinem Leben
alles in den Schoß gefallen ist, sind sie Dreck.«
Ich dachte darüber nach, ehe ich
vorsichtig sagte: »Weißt du, ob es dieser Roy LaFond wirklich so einfach gehabt
hat?«
Sie wandte sich achselzuckend ab. »Ich
kenne den Typ. Aber jetzt sollten wir uns lieber den Rest des Treppenhauses und
das Dach ansehen. Ich nehme an, hier unten hast du alles gesehen, was du sehen
wolltest.«
»In einer Minute.« Ich ging zu den
Vorratsschränken und fing an, diejenigen zu öffnen, die nicht durch
Vorhängeschlösser gesichert waren. Die beiden ersten waren leer; der dritte
enthielt eine Falle für Küchenschaben und eine Schachtel mit einem Sortiment
verschiedener Schrauben und Nägel; der vierte war mit einem dunklen Stoff
vollgestopft. Ich zog ihn heraus und breitete ihn auf dem Boden aus.
Es war ein altes, zerschlissenes
Bettlaken, in einem häßlichen Olivgrün. Fast in der Mitte hatte es zwei sauber
ausgeschnittene Löcher. Ich hob es auf und hielt die Löcher vor meine Augen.
»Was ist das?« wollte Carolyn wissen.
»Sieht aus wie das erste
Gespensterkostüm für Halloween.«
»In Grün? Das bezweifle ich. Außerdem,
was hat das hier unten zu suchen?«
»Vielleicht hat es ein früherer Mieter
vergessen. Oder...« Ich betrachtete das Laken nachdenklich.
Carolyn wartete.
»Weißt du«, sagte ich, »das könnte der
Faxenmacher benutzt haben, um diese Schatten an die Wände im Treppenhaus zu
werfen. Der Schatten eines Menschen, der das trägt, könnte ausgesprochen
furchterregend aussehen, vor allem, wenn er den Stoff dann noch schwenkt.«
»Vermutlich. Aber wenn das der Fall
ist, warum haben dann Mrs. Zemanek oder Duc und seine Freunde es nicht
gefunden, als sie hier unten alles untersucht haben?«
»Wenn du dich richtig erinnerst, so
haben sie nach einer Person gesucht, die hier, in diesem Raum, Lärm machte,
nicht nach der Kreatur aus dem Treppenhaus. Außerdem, selbst wenn sie das
gesehen hätten, wäre es für sie wohl einfach nur ein altes Bettlaken gewesen.«
Sie sah mich zweifelnd an, sagte aber
nichts.
Ich legte das Laken zusammen und
stopfte es mir unter den Arm. »Ich bringe es heute abend mit und frage,
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