Nette Nachbarn
ist das Treppenhaus, in dem die
Kinder die Schatten gesehen haben«, erklärte mir Carolyn. Ihre Stimme hallte
hohl von den Wänden wider, die uns umgaben.
»In welche Richtung zuerst? Nach oben
oder nach unten?«
»Nach unten, denke ich.« Sie streckte
die Hand nach einem Schalter neben der Tür aus, und unten ging ein Licht an.
Ich hielt mich am kalten Metallgeländer fest und fing an hinabzusteigen. Meine
Schritte hallten.
»Was ist mit dem Besitzer?« erkundigte
ich mich. »Mrs. Zemaneks Haltung ihm gegenüber grenzt ja schon an Anbetung.«
»Ich glaube, es ist wirklich so etwas
wie Gottesfurcht. Sein Name ist Roy LaFond, und er ist ganz und gar kein
typischer Hausherr in einem Slum-Viertel.«
»Ich habe den Namen schon irgendwo
gehört.«
»LaFond ist ein großer Name in der
Immobilienbranche. Er hat das Bay Shores Projekt in Tiburon geleitet.«
»Deshalb kam er mir bekannt vor. Wie
kommt es, daß er ein solches Haus besitzt?«
»Mrs. Zemanek erzählt, daß er es vor
ungefähr einem Jahr als Teil eines großen Handels übernommen hat. Du weißt
schon — der frühere Besitzer wollte es loswerden und hat LaFond einen
niedrigeren Preis für ein Grundstück gemacht, das er haben wollte, im Austausch
dafür mußte er ihm das Globe abnehmen. Na ja, LaFond scheint jedenfalls
entsetzt zu sein, ein Tenderloin Hotel zu besitzen, das voll ist von
Vietnamesen und anderen gesellschaftlichen Sonderlingen.«
Wir kamen unten an der Treppe an und
blieben stehen. Zu unserer Rechten befand sich eine Reihe von Vorratsschränken,
von denen die meisten mit Vorhängeschlössern gesichert waren. Direkt vor uns
lag der graue Metallklotz eines Heizungskessels. Und auf einer Seite neben
diesem Brenner stand auf absurd dürren Beinen ein klobiger, altmodischer
Boiler. Er erinnerte mich an eine weiße Kuh, die zu fett geworden war.
»Still hier unten, was?« meinte ich.
»Der Brenner läuft nicht. Geht eine der Streitereien, die du erwähnt hast, um
die Heizung?« Heizung war eines der größten Probleme hier im Tenderloin. Vor
ein paar Jahren waren in der Morgenzeitung ein paar Artikel erschienen, die die
»heat cheats«, also die Tatsache, daß die Vermieter ihre Mieter beim Heizen
übers Ohr hauten, zum Thema hatten. Der Geiz der Hausbesitzer zwang die Mieter —
die meisten waren alt und brauchten ohnehin mehr Wärme als andere Leute, um
gesund zu bleiben — , zu jeder Zeit ihren Mantel zu tragen und in mehreren
Schichten von Kleidung übereinander zu schlafen. Das Ergebnis war, daß
Inspektoren der Stadt die Hotels überprüften und Beweise verlangten, daß sie während
der gesetzlich vorgeschriebenen elf Stunden am Tag beheizt wurden. Einige
Besitzer waren mit Geldstrafen belegt worden, einige mußten ins Gefängnis, und
man hatte sie gezwungen, die Vorschriften zu befolgen. Aber jetzt war die
Heizung kein Thema mehr, nachdem sie von den Massenmedien total ausgeschlachtet
worden war, und viele Hotels waren wieder kalt geworden.
»Nein«, sagte Carolyn. »Roy LaFond hält
sich streng an die Buchstaben des Gesetzes.«
»Mir ist schon aufgefallen, daß das
Hotel in einem besseren Zustand ist als die meisten anderen.«
»Das ist allerdings nicht dem Besitzer
zu verdanken. Die Vietnamesen sind ein ordentliches Volk; sie können Schmutz
nicht ausstehen, und sie warten nicht darauf, daß jemand anders für sie putzt.
Dieses Haus war ein Schweinestall, als wir die erste Familie hierherbrachten,
vor mehr als zwei Jahren. Heute sieht man es ihm nicht mehr an.«
Ich nickte und sah mich im Keller um.
Er war so sauber und ordentlich wie die Halle oben, und es schien keine einzige
Stelle zu geben, an der sich ein Mensch hätte verstecken können. Eine kleine
Person könnte sich vielleicht hinter den Brenner zwängen, aber dort würde jeder
Suchende als erstes nachschauen. Und die Mauern bestanden aus dicken Blöcken.
Es gab keine Nischen, keine Vorsprünge. Ich vermutete, daß man auf die
Heizungsrohre hinaufklettern könnte, aber sie sahen nicht so aus, als würden
sie mehr als das Gewicht eines Kindes tragen.
Ich ging zum Boiler hinüber und
berührte die geschwungene Seite; er war warm. »Eine Menge heißes Wasser.«
»Stimmt.«
»Worum ging es also bei den
Streitereien wirklich ?«
»LaFond hält sich zu sehr ans Gesetz.
Er hat eine Todesangst davor, vor den Kadi zitiert zu werden, oder davor, daß
irgend etwas geschieht, was seine Versicherungsprämien hinaufschrauben könnte.
Ständig läßt er über Mary Zemanek
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