Neubeginn in Virgin River
auf die Seite und sah, dass das Bett neben ihr leer war, konnte Jack aber hören, wie er im Hof Holz hackte. Sie spülte sich den Mund und verrieb einen Klecks von seiner Zahnpasta auf ihren Zähnen. An einem Haken in seiner Kammer hing ein langärmliges hellblaues Jeanshemd, das sie sich überstreifte. Sie schnupperte am Kragen und lächelte, als sie Jacks Geruch wahrnahm. Das Hemd war so groß, dass sie beinahe darin ertrank. Dann lief sie zur Hintertür und sah Jack zu, wie er die Axt am Kopf vorbei nach oben schwang, sie hinabsausen ließ und krachend die Hoz-scheite spaltete. Wummm.
Die Luft war klar und frisch; der Regen hatte sich verzogen, und die hohen Bäume waren rein gewaschen. Jack hatte die Hemdsärmel bis über die Ellbogen aufgerollt, und Mel konnte sehen, wie mit jedem Axthieb sein Bizeps stärker anschwoll.
Plötzlich hielt er inne und schaute in ihre Richtung. Sie hob eine Hand und lächelte ihm zu. Sofort stellte er die Axt beiseite und kam zu ihr. Als er vor ihr stand, legte sie ihm eine Hand auf die Brust. Mit dem Rücken seines gekrümmten Zeigefingers strich er ihr sanft über die Wangen, die ein wenig gerötet waren. „Ich glaube, ich habe dich mit meinen Stoppeln ganz schön traktiert.“
„Ja, aber mach dir darüber keine Gedanken. Ich mag es. Es gehört dazu. Es ist natürlich und gut.“
„Du gefällst mir sehr in meinem Hemd, und noch besser gefällst du mir, wie du ohne mein Hemd aussiehst.“
„Ich glaube, wir haben noch ein bisschen Zeit“, sagte sie.
Schwungvoll hob er sie in seine Arme, trug sie ins Schlafzimmer und legte sie behutsam aufs Bett.
11. KAPITEL
E s war kühl und diesig, als Mel in ihr Waldhaus zurückfuhr. Die Eingangstür stand offen und ließ die frische Juni-Morgenluft herein. Auf der Veranda zog sie sich die schmutzigen Stiefel aus, und drinnen fand sie Joey in eine Wolldecke gewickelt auf der Couch, neben sich auf dem Tisch eine dampfende Tasse mit frischem Kaffee.
Joey schlug die Decke zurück, und Mel kam zu ihr, kuschelte sich an sie und legte den Kopf an ihre Schulter. Behaglich zog Joey die Decke um sie beide zurecht. „Alles in Ordnung, Schwesterherz?“
„Es geht mir gut. Gestern Abend bin ich ausgenippt.“ Sie drehte den Kopf und sah zu ihrer älteren Schwester hoch. „Wieso habe ich das nicht kommen sehen? Du schon.“
„Der Jahrestag von Todesfällen ist berüchtigt. Selbst wenn du dich nicht mehr an das genaue Datum erinnerst – es schleicht dich von hinten an und haut dich einfach um.“
„Das hat es wahrhaftig getan“, sagte Mel und legte ihren Kopf zurück an Joeys Schulter. „Ich wusste zwar, welcher Tag es war, aber ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass es so dramatisch sein könnte.“
Joey fuhr ihr zärtlich übers Haar. „Zumindest warst du nicht allein.“
„Selbst wenn du dabei gewesen wärest, du hättest es nicht geglaubt. Ich hatte komplett die Fassung verloren und stand schreiend im Regen. Und ich habe lange geschrien. Jack hat mich einfach nur festgehalten und mich gelassen. Dabei hat er mir immer wieder gesagt, ich soll es rauslassen. Danach hat er mich versorgt, wie man jemanden versorgt, der gerade einen Schlag erlitten hat. Er hat mich ausgezogen, mich in trockene Sachen gehüllt, mir einen Brandy eingeflößt und ins Bett gebracht.“
„Ich glaube, Jack ist ein sehr guter Mann …“
„Dann habe ich ihn gebeten, zu mir ins Bett zu kommen“, erzählte Mel weiter. Joey sagte nichts. „Die ganze Nacht über haben wir uns geliebt. In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viel Sex gehabt. Ich meine – noch nie.“
„Aber dir geht es gut“, sagte Joey, und das war keine Frage.
„Als ich ihn einlud, unter die Decke zu kommen, dachte ich nur: Es wird mich betäuben. Meinen Schmerz wegwischen. Mir ein Entkommen bieten.“
„Das ist völlig in Ordnung, Süße.“
Wieder sah Mel Joey an. „Es ist aber nicht so gelaufen. Wäre er ein Durchschnittstyp, hätte ich vielleicht einfach nur die Augen geschlossen und mich an einen glücklichen Ort geträumt. Aber er ist kein Durchschnittstyp. Lieber Himmel, er ist sagenhaft.“
Joey musste lachen, auch wenn sie ein wenig sentimental geworden war. Sie waren Schwestern. Seit ihrer Teenagerzeit hatten sie über Sex geredet. Darüber gelacht, sich dunkle Geheimnisse erzählt. Nach Marks Tod hatte Joey befürchtet, dass es solche Gespräche nie wieder geben würde.
„Er hat nur daran gedacht, mir Freude zu machen. Wilde, heftige, verrückte
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